Dekubitusprophylaxe: Positionierungen und Hilfsmittel nach Expertenstandard
Zur Dekubitusprophylaxe müssen gefährdete Personen unverzüglich nach der Risikoerkennung eine Druckentlastung erhalten, zum Beispiel mittels Bewegungsförderung oder Positionswechsel. Ist eine Druckentlastung darüber nicht oder nicht ausreichend möglich, sollten ergänzend druckverteilende oder druckentlastende Hilfsmittel eingesetzt werden.
Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege gibt an, wie oft Menschen mit Dekubitusrisiko gelagert werden und welche Positionierungen sich jeweils eignen. Weiter empfiehlt er fallbezogen druckverteilende und/oder druckentlastende Hilfsmittel und benennt nicht mehr zeitgemäße Methoden.
Die wichtigste Maßnahme ist die Bewegungsförderung
Bewegungsförderung ist die beste Dekubitus-Prophylaxe, vor allem wenn sie außerhalb des Bettes, z. B. durch Gehen, durchgeführt wird. Schon kleine Bewegungen sorgen für weniger Druck auf gefährdete Körperstellen (Prädilektionsstellen), verbessern die Hautdurchblutung und beugen einem Dekubitus vor. Deshalb ist es so wichtig, die Eigenbewegungen so gut und so oft wie möglich zu fördern – unabhängig davon, welche Maßnahmen zur Druckentlastung sonst noch eingesetzt werden. Das heißt: Auch beim Einsatz von Hilfsmitteln steht die Bewegungsförderung des Patienten bzw. Bewohners weiter im Vordergrund.Regelmäßige Positionswechsel sorgen dafür, dass gefährdete Hautbezirke vom Druck entlastet werden.
Besonders effektiv sind zum Beispiel die 30°-Lagerung oder die 135°-Lagerung. Eher ungeeignet zur Dekubitus-Prophylaxe ist die 90°-Lagerung, da hier ein hoher Druck auf den Trochanter (großer Rollhügel) ausgeübt wird. Wenn bereits eine Rötung der Haut vorliegt, sollte die Positionierung möglichst ohne Belastung der geröteten Haut erfolgen. Auch besonders gefährdete Körperstellen, zum Beispiel die Fersen, sollten in vollständiger „Freilage“ positioniert werden, sodass sie von Druck entlastet sind.
Wie oft muss positioniert werden?
Diese Frage wird häufig gestellt, auch wenn es keine eindeutige Antwort gibt. Früher galt eine zweistündliche Umlagerung als Muss, wenn Patienten und Bewohner keine ausreichende Eigenbewegung hatten. Heute wird empfohlen, das Wechsellagerungsintervall individuell zu bestimmen. Es kann – je nach Dekubitusrisiko – kürzer, aber auch länger als 2 Stunden sein.
In Studien konnte laut dem Expertenstandard Dekubitusprophylaxe kein eindeutiger Vorteil für bestimmte Wechselintervalle gefunden werden. Dabei wurden Intervalle zwischen 2 und 6 Stunden untersucht. Unabhängig von der Frequenz wurde festgestellt, dass einem Dekubitus Kategorie I–IV durch eine Wechsellagerung vorgebeugt werden kann.
Doch wie lässt sich erkennen, ob ein Wechselintervall ausreichend ist? Bei jedem Patientenkontakt wird eine gründliche Hautinspektion der besonders gefährdeten Hautareale empfohlen. Jede Rötung kann ein Hinweis auf die Entwicklung eines Dekubitus sein. Zur Beurteilung wird dazu die „Finger-Methode“ angewendet. Bei dieser Methode drückt ein Finger gegen eine gerötete Hautstelle, welche meist über Knochenvorsprüngen liegt. Lässt sich die Rötung nicht wegdrücken, bleibt die Haut also gerötet, liegt bereits eine Gewebsschädigung vor (Kategorie I). Bei wegdrückbaren Rötungen sollten die Wechselintervalle verkürzt werden. Dabei sollte die Person möglichst so positioniert werden, dass die gerötete Hautstelle nicht weiter durch Druck belastet wird. Spätestens bei einer nicht wegdrückbaren Rötung muss die pflegebedürftige Person direkt umgelagert werden, um weiteren Gewebeschäden vorzubeugen.
Im besten Fall sollte die „Finger-Methode“ bei jedem Positionswechsel erfolgen.
Hauptartikel: Dekubitus
- Dekubitus-Assessment
- Dekubitus: Grade, Stadien, Klassifikation
- Expertenstandard Dekubitus
- Fallbeispiele Dekubitus, Behandlungs- und Heilungsverläufe mit Bildern
- Fersendekubitus
- Dekubitusprophylaxe: Positionierung und Hilfsmittel
- Sakraldekubitus
- Stuhlmanagement bei Sakraldekubitus
- Wundauflagen zur Dekubitus-Wundversorgung
30°-Position: Die 30°-Seitenwechselpositionierung in liegender Position ist die bekannteste Form der Positionierung. Sie ist sehr effektiv zur Dekubitusprophylaxe und wird in mehreren Leitlinien empfohlen. Auch der Expertenstandard empfiehlt die 30°- bzw. 40°-Seitenlage bei Erwachsenen. Bei dieser sollte zwischen Rechtsseiten-, Rücken- und Linksseitenlage gewechselt werden.
Bei der 30°-Position ist das Bett flach gestellt oder das Kopfteil ein wenig erhöht. Die Person liegt leicht zur Seite gedreht. Belastet wird entweder die rechte oder die linke Gesäß- bzw. Körperhälfte. Diese Stellen sind in der Regel gut abgepolstert und es befinden sich darunter keine Knochenvorsprünge. Die Position kann zum Beispiel mithilfe von 2 großen Kissen erreicht werden, die auf die Hälfte gefaltet werden. Das erste Kissen wird entlang der Wirbelsäule unter den Rücken gelegt, das zweite unter den entsprechenden Oberschenkel. Die Fersen werden dabei freigelagert, der Sakralbereich wird entlastet.
135°-Position: Auch die 135°-Seitenwechselpositionierung ist eine effektive Position zur Dekubitusprophylaxe. Sie wird von den meisten Personen als angenehm empfunden. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie im Fall eines bereits vorhandenen Druckgeschwürs den Sakralbereich entlastet.
Auch für diese Position werden 2 große Kissen genutzt. Dabei wird eines unter die eine Hälfte des Oberkörpers gebracht und das andere unter die entsprechende Hüfte und den Oberschenkel gelegt. Die Person befindet sich beinahe in Bauchlage. Besonders gefährdete oder bereits betroffene Hautpartien können zudem durch eine Freilagerung entlastet werden.
Freilagerungen: Diese Position eignet sich besonders gut für die Fersen. Als Lagerungshilfsmittel kann ein einfaches Handtuch dienen, das als Brezel zusammengefaltet wird. Bei der Freilagerung ist darauf zu achten, dass die Ferse vollständig freigelagert ist und kein Druck auf andere Körperstellen ausgeübt wird, z. B. Achillessehnen oder die Blutzirkulation beeinträchtigt wird. Auch sollte darauf geachtet werden, dass das Knie nicht überstreckt ist. Dies kann mit einer Handtuchrolle unter dem Knie leicht vermieden werden.
Mikropositionswechsel – eine unterstützende präventive Maßnahme
Mikropositionierungen orientieren sich an den Mikrobewegungen, die ein gesunder Mensch ganz automatisch ausführt. Hierbei werden kleinste Schwerpunktverlagerungen umgesetzt. Mittlerweile gilt als gesichert, dass diese ausreichen, um prophylaktisch wirksam zu sein. Werden physiologische Bewegungsmuster in ihrer Häufigkeit und Kontinuität nachgeahmt, können Sekundärerkrankungen wie Dekubitus, Pneumonie, Thrombose und Kontrakturen vermieden werden. Allerdings ersetzt die Mikrolagerung nicht den regelmäßigen Positionswechsel. Sie dient ausschließlich der zeitweiligen Entlastung (Druckverteilung).
Mikrobewegungen: Ein gesunder Mensch führt im Liegen/Sitzen pro Stunde etwa zwischen 12 und 40 Mikrobewegungen durch. Dabei verändert er durch kleine Bewegungen seine Druckbelastung, ohne dass er seine Körperhaltung grundsätzlich ändert, z. B. Kippen des Beckens, abspreizen des Arms, verlagern des Gewichts von einer Gesäßhälfte auf die andere.
Makrobewegungen: Ein gesunder Mensch führt im Liegen/Sitzen pro Stunde zwischen 4 und 8 Makrobewegungen durch. Das sind komplette Körperpositionswechsel, mit denen es zu einer vollständigen Druckentlastung kommt, z. B. Aufstehen, Drehen vom Rücken- in die Bauchlage.
Hilfsmittel zur Dekubitus-Prophylaxe
Der Expertenstandard unterscheidet zwischen druckverteilenden und druckentlastenden Hilfsmitteln. Bei der Druckentlastung wird der Druck auf eine bestimmte Körperstelle aufgehoben, z. B. über eine Freilage. Bei der Druckverteilung wird die Auflagenfläche vergrößert und somit der Auflagedruck auf eine größere Fläche „verteilt“, z. B. durch bestimmte Auflagensysteme oder Matratzen, die über druckverteilende Mechanismen verfügen.
Weichlagerungsmatratzen, -auflagen und -kissen: Diese sorgen für eine kontinuierliche Weichlagerung des ganzen Körpers oder einzelner Körperteile wie Gesäß, Rücken, Ferse oder Hüfte (Prinzip Druckverteilung). Beispiele sind Schaumstoffmatratzen, luftgefüllte Matratzen, Gelmatratzen, Weichpolsterkissen, Schaumstoff- und Gelkissen.
Wechseldruckmatratzen, -auflagen und -kissen: Diese bestehen aus nebeneinanderliegenden Luftkammern, die mit einem Pumpaggregat wechselweise aufgeblasen oder entlastet werden. Dadurch werden einzelne Hautbereiche in regelmäßigen Abstand temporär druckentlastet (Prinzip Druckentlastung). Das kann mit oder ohne Luftstrom sein. Wichtig ist zu wissen, dass eine Wechseldruckmatratze nicht den Positionswechsel ersetzt, aber das Positionierungsintervall verlängern kann.
Kombinierte Systeme: Diese verbinden Weichlagerungssysteme (Matratzen, Auflagen oder Kissen) mit Wechseldrucksystemen für den ganzen Körper oder einzelne Körperteile (Prinzip Druckverteilung und Druckentlastung).
Grundsätzlich empfiehlt die Experten-Arbeitsgruppe, bei Patienten/Bewohnern mit einem Dekubitusrisiko von Anfang an eine Weichlagerungsmatratze als Standardmatratze einzusetzen. Denn die Zeitspanne, bis ein Dekubitus auftritt, kann kurz sein, und die Gefahr einer Unterversorgung sollte von Anfang an minimiert werden. Wenn Patienten/Bewohner aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht so häufig oder gar nicht umpositioniert werden können, sollte ein Wechseldrucksystem eingesetzt werden. Haben Patienten/Bewohner eine Querschnittlähmung, sollten sie grundsätzlich auf einer druckverteilenden Unterlage sitzen.
Bei der Patientin in diesem Fallbeispiel konnte die Entstehung eines Dekubitus nicht verhindert werden.
Fallbeispiel: Dekubitus, SchwenklappenplastikNicht mehr zeitgemäße Hilfsmittel
Folgende Hilfsmittel zur Dekubitus-Prophylaxe werden im Expertenstandard nicht mehr empfohlen:
- Gummi- oder andere Ringe: Diese sind für die Freilage von Körperstellen ungeeignet, da es zu einer erhöhten Druckeinwirkung an den Seitenrändern der Materialien kommt.
- Schaffelle, Watteverbände, Wassermatratzen: Diese Materialien werden nicht empfohlen, da für die Wirksamkeit dieser Materialien wissenschaftliche Belege fehlen bzw. eine Unwirksamkeit bezüglich der Druckverteilung festgestellt werden konnte.
- Schaumstoffe, Schaffelle, Hydrokolloid-Pflaster für die Fersen: Auch bei diesen Materialien sind die Forschungsergebnisse zur Druckentlastung unzureichend. Ist eine Freilagerung der Fersen nicht möglich, muss über den Einsatz einer druckverteilenden Matratze nachgedacht werden.
Expertenstandards in der Wundversorgung
- Expertenstandard Dekubitusprophylaxe
- Hilfsmittel zur Dekubitusprophylaxe: Empfehlungen des Expertenstandards
- Expertenstandard Erhaltung und Förderung der Hautintegrität in der Pflege
- Expertenstandard Förderung der Mundgesundheit
- Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden
- Expertenstandard Schmerzmanagement
- Expertenstandard Sturzprophylaxe
Die richtige Entscheidung für ein Hilfsmittel treffen
Welches Hilfsmittel ist wann das richtige? Der Expertenstandard empfiehlt vor dem Einsatz zu prüfen, ob das ausgewählte Hilfsmittel tatsächlich die richtige Maßnahme für den Patienten/Bewohner ist. Die optimale Druckverteilung reicht als alleiniges Auswahlkriterium nicht aus. Denn jeder Mensch bringt andere Voraussetzungen mit, die bei der Auswahl des geeigneten Hilfsmittels berücksichtigt werden müssen:
- Was sind die prioritären Pflege- und Therapieziele? Geht es z. B. vorrangig um Schmerzreduktion, Bewegungsverbesserung oder Ruhigstellung?
- Welche Möglichkeiten der Eigenbewegung hat der Patient/Bewohner?
- Welche Körperstellen sind gefährdet?
- Wie schwer ist der Patient/Bewohner?
- Was sind seine Wünsche und Präferenzen?
- Wie verhält es sich mit dem Verhältnis von Kosten und Nutzen?
Bei der Entscheidung für oder gegen ein Hilfsmittel sollten auch die möglichen Nachteile eines Hilfsmittels in den Blick genommen werden. Spezialbetten und -matratzen schränken zum Beispiel die Eigenbewegung des Patienten/Bewohners ein und sind von daher für Menschen, die noch über eigene Bewegungsressourcen verfügen, wenig geeignet. Auch können Spezialbetten einen hohen Geräuschpegel haben und von den Patienten als unangenehm erlebt werden.
Um eine gute Entscheidung zu treffen, sollten Pflegekräfte ausreichende Kenntnisse zum Umgang mit dem Hilfsmittel haben. Auch sollten sie in der Lage sein, wirtschaftliche Aspekte zu bedenken. Eine Überversorgung sollte in jedem Fall vermieden werden. Hilfsmittel sollten vor allem so ausgewählt werden, dass sie in der jeweiligen Situation praktikabel einsetzbar sind und auf die Bedürfnisse des zu pflegenden Menschen abgestimmt sind.
Video: Dekubitusprophylaxe - Wichtig, nicht nur für den Pflegedienst!
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Alle Maßnahmen dokumentieren
Der Expertenstandard fordert, alle Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe zu dokumentieren, damit sie vollständig, inhaltlich plausibel und für alle Beteiligten leicht nachvollziehbar sind. Wird von geplanten Interventionen abgewichen bzw. werden diese nicht durchgeführt, ist dies zu begründen und es sind Konsequenzen für das weitere Vorgehen transparent zu machen. Erforderlich sind Angaben:
- Zur genauen Form der Bewegungsunterstützung oder Positionierung
- Zu den ausgewählten Hilfsmitteln
- Zur geplanten Häufigkeit und Zeitpunkt der Durchführung
- Zu relevanten Patienten-/Bewohnerfaktoren für die Durchführung, z. B. Präferenzen, Schmerzbelastung, Sturzrisiko
- Zu einem späteren Zeitpunkt: wiederholte Einschätzung des Dekubitusrisikos und der zugrundeliegenden Kriterien
Es ist eine Kernaufgabe der Pflege, einen Dekubitus zu vermeiden. Die regelmäßige Druckentlastung mittels Bewegungsförderung, aber auch Positionswechsel haben dabei einen zentralen Stellenwert. Dies erfordert umfangreiches Wissen sowie regelmäßige Schulungen der Pflegekräfte.