Dekubitus-Therapie mit Lappenplastik: Was Pflegekräfte wissen sollten

Dekubitus-Therapie mit Lappenplastik: Was Pflegekräfte wissen sollten

Bei Dekubitus-Ulzera Kategorie III und IV kann die Indikation für eine chirurgische Dekubitus-Therapie mit einer Lappenplastik bestehen.1 Die Pflege spielt dabei eine wichtige Rolle – im präoperativen Management und in der postoperativen Nachsorge.1,2

Lappenplastik – einen umfassenden Begriff richtig einordnen

„Lappenplastik“ ist ein Überbegriff für verschiedene Verfahren der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie. 

Dabei handelt es sich um eine weitere Behandlungsstufe in der „rekonstruktiven Leiter“, um Dekubitus-Läsionen mit der Verlagerung von Eigengewebe („Lappen“) zu schließen, wenn ein direkter Wundverschluss oder eine Spalthauttransplantation nicht möglich ist.1,3 In der Literatur finden sich viele unterschiedliche Einteilungen der Lappenplastikmethoden, zum Beispiel nach der Nähe oder der Gewebeverbindung zur Entnahmestelle („Spender-Areal“). Zu den vielen möglichen Methoden gehören die Schwenklappenplastik, die gestielte Lappenplastik und die freie Lappenplastik – dazu später mehr.1-5

Ziele der Lappenplastik in der Dekubitus-Therapie

Warum setzt man die Lappenplastik statt konservative Wundversorgungsmethoden bei Menschen mit Dekubitus ein? Die Zielsetzung hängt vom Einzelfall ab – zum Beispiel:2

  • Infektionsfolgen wie Ostitis (Knochenentzündung) oder Sepsis verhindern.
  • den Verlust von Eiweiß über die Wundfläche reduzieren.
  • Folgeerkrankungen oder Malignome vermeiden.
  • den Pflege- und Rehabilitationsaufwand senken.
  • die Lebensqualität der Betroffenen verbessern – vor allem Schmerzen reduzieren.
  • das Gewebe langfristig stabilisieren.
Wichtig zu wissen

Die Lappenplastik ist eine symptomatische Behandlung des Dekubitus. Sie beseitigt nicht die Ursache(n) des Druckgeschwürs.1,2

Indikationen und Kontraindikationen der Lappenplastik bei Dekubitus

Trotz dieser anspruchsvollen Ziele raten Fachleute unisono zu einer strengen Indikationsstellung, wenn eine Lappenplastik bei Menschen mit Dekubitus in Betracht gezogen wird. Die Fachliteratur unterscheidet dazu in vitale, absolute und relative OP-Indikationen (Tab. 1).2,5

Tab. 1: Indikationen für eine Lappenplastik zur Dekubitus-Therapie2,5

Vitale IndikationenAbsolute IndikationenRelative Indikationen
  • Akute arterielle oder venöse Arrosionsblutung
  • Schwere Sepsis (immer unter intravenöser Antibiotikagabe; in der Akutphase nur Débridement ohne plastische Deckung)
  • Tiefe Osteomyelitis des Knochens im Dekubitusgrund
  • Gelenkbeteiligung im Dekubitusgrund, vor allem des Hüftgelenks 
  • Multiple tiefe Dekubitalulzera
  • Narbenkarzinome
  • Schnellerer Wundverschluss und bessere Weichteildeckung 
  • Elimination eines möglichen septischen Herdes
  • Verminderung chronischer Schmerzen
  • Erleichterung der Pflege
  • Senkung der Behandlungskosten
  • Möglichkeit der Verlegung nach Hause oder in eine langzeitstationäre Einrichtung  
  • Prophylaxe des Wundinfekts

Allerdings können einige Kontraindikationen gegen eine Lappenplastik sprechen:

  • Mangelnde Operabilität der Betroffenen zum Beispiel aufgrund von erheblicher Multimorbidität.1
  • Aktive Wundinfektionen (vorheriges Débridement ist zwingend erforderlich)1,5

Lappenplastik-Methoden in der Dekubitus-Therapie

Bei der Wahl der Operationsmethode und (Art der Lappenplastik) kommt es auf den Einzelfall und dessen Einflussfaktoren an:1

  • Lokale Faktoren betreffen die Dekubitus-Beschaffenheit und -umgebung wie seine Lokalisation, Größe und Tiefenausdehnung. Weitere Aspekte sind eine etwaige Beteiligung der Knochen und Gelenke sowie der Zustand der Haut und der Weichteile. Möglicherweise können Narben oder andere Schädigungen die Auswahl infrage kommender Lappen einschränken.
  • Allgemeine Faktoren hängen mit dem oder der Betroffenen zusammen – darunter der Ernährungs- und Allgemeinzustand sowie die Therapietreue und psychosoziale Situation. Außerdem spielt die Rehabilitationsfähigkeit eine Rolle und die Frage, ob der oder die Betroffene nach der Operation häufiger sitzen oder liegen wird.

Angesichts der für Nicht-Chirurgen unüberschaubaren Varianten der Lappenplastik soll es hier um häufige Begrifflichkeiten gehen, die zum besseren Verständnis der chirurgischen Methoden beitragen können:
 

Schwenklappenplastik (englisch: transition flap)

Dabei handelt es sich um einen sogenannten „Nahlappen“: Das zu entnehmende Gewebe grenzt unmittelbar an die Läsion an. Nach der teilweisen Exzision wird der Gewebelappen über das gesunde Gewebe hinweg in den Defekt geschoben. Eine Schwenklappenplastik gehört zur Gruppe der gestielten Lappenplastik.1,3,4
 

Gestielte Lappenplastik

Der gestielte Lappen gehört zu den Nahlappen. Das zur Abdeckung der Läsion verwendete Gewebe (Lappen) wird nicht vollständig vom Körper getrennt, sondern es bleibt eine Gewebebrücke mit Gefäßen (und möglicherweise Nerven) erhalten, die auch die transferierte Haut versorgt. Zu den Vorteilen dieser Methode gegenüber einer „freien Lappenplastik“ gehört zum einen die kürzere OP-Zeit, was gerade bei multimorbiden Patienten wichtig ist. Zum anderen bedarf es keiner mikrochirurgischen Ausstattung, da die vorhandenen Gefäße erhalten bleiben.1,3,4
 

Freie Lappenplastik

Im Gegensatz zur gestielten Lappenplastik wird ein „freier Lappen“ vollständig vom Spender-Areal getrennt und mithilfe der Mikrochirurgie auf die Defektstelle transplantiert.1,3,4

Lappenplastik Sakraldekubitus Grafik 1 von 4
Großflächiger Dekubitus
Lappenplastik Sakraldekubitus Grafik 2 von 4
Markierung des Operationsgebietes für benötigte Eigengewebeentnahme (Lappen)
Lappenplastik Sakraldekubitus Grafik 3 von 4
Chirurgische Lappenentnahme aus gesundem Gewebe
Lappenplastik Sakraldekubitus Grafik 4 von 4
Dekubitus-Läsion wird mit Verlagerung von Eigengewebe (Lappen) auf die betroffene Stelle geschlossen und vernäht.

Weitere häufig verwendete Begriffe rund um Lappenplastikmethoden sind zum Beispiel:1,2,4,5

  • Lappenbezeichnungen nach dem Spender-Areal (manchmal in Kombination mit der Verlagerungstechnik) wie „Glutaeus-Rotationslappen“ (gedrehte Verschiebung von Gewebe zum Beispiel aus dem M. glut(a)eus maximus) 
  • Benennung nach einem Operateur wie „Rhomboidlappen nach Limberg“ (rautenförmiger Verschiebelappen)
  • und viele mehr…
Wichtig zu wissen

Eine Spalthauttransplantation kommt in der Dekubitus-Therapie prinzipiell nicht in Frage. Das Hauttransplantat hält den Druckverhältnissen nicht stand und es kann sich instabiles Narbengewebe bilden. Eine Ausnahme sind Menschen mit einem sehr schlechten Allgemeinzustand, bei denen eine Lappenplastik kontraindiziert ist. Allerdings „überleben“ nur etwa 60 % der Hauttransplantate.1

Die Lappenplastik stellt Herausforderungen an die Wundbehandlung

Der chirurgische Eingriff - mit welcher Methode auch immer – ist jedoch nur ein Teil der Lappenplastik-Gesamtbehandlung. Sie bedarf einer sehr sorgfältigen pflegerisch-medizinischen Vorbereitung und Nachsorge.1,5

Chirurgisches Wund-Débridement

Wichtig für den Erfolg einer Lappenplastik ist die vollständige (radikale) Entfernung des geschädigten, nekrotischen Gewebes – meistens in mehreren Sitzungen, weil sich die Wundränder erst nach einer Wartezeit demarkieren. Dabei kommt es häufig zu einem „Spitze des Eisbergs“-Effekts: Das tieferliegende Gewebe kann großflächiger geschädigt sein, als die Wunde an der Oberfläche es vermuten lässt, da die Haut weniger empfindlich auf dauerhafte Druckbelastungen reagiert als beispielsweise die Muskulatur. Beim Wund-Débridement gilt die Regel: So ausführlich wie nötig und so wenig wie möglich resezieren.1,5
 

Wundkonditionierung

Nach dem Débridement ist häufig eine Wundkonditionierung erforderlich, weil bei Weichteilnekrosen meistens eine bakterielle Besiedelung vorliegt:

  • Kleinere Ulzera werden mit in Ringer-Laktat-Lösung getauchten Kompressen und täglich mehrfachem (alle 4 bis 6 Stunden) Verbandwechsel gereinigt (keine NaCl-Verbände). Lokale Antibiotika werden nicht empfohlen und eine systemische Antibiose ist manifesten Infektionen vorbehalten.1,5
  • Bei größeren Defekten können Vakuum-assistierte Wundverschlusssysteme (vacuum-assisted closure, VAC) zur Reinigung eingesetzt werden, die in manchen Fällen auch den Wundgrund verbessern können.1,5

In der Regel wird das Débridement mit Wundkonditionierung und die eigentliche Lappenplastik in einem zeitlichen Abstand durchgeführt (zweizeitig). Dafür sprechen mehrere Gründe:1

  • Die Gewebegrenze „gesund/nekrotisch“ ist nach dem Débridement nicht klar erkennbar und somit könnten Wundrandnekrosen entstehen.
  • Das Gewebe ist geschädigt und enthält toxische Stoffe wie Proteasen und Entzündungsmediatoren.
  • Vor dem Débridement kann eine starke bakterielle Kontamination bestehen, die zu einer Wundinfektion führen kann.

Der Wundkonditionierung schließt sich ein radikales Débridement an, bei dem der Wundrand umschnitten und das Ulkus einschließlich Granulationsgewebe vollständig entfernt wird.1

Zwei Fallbeispiele: Schwenklappenplastik in der Praxis

Wie eine Schwenklappenplastik in der Praxis abläuft, zeigen diese beiden Fallbeispiele – von der Ausgangssituation bis zur poststationären Nachsorge:

Postoperative Nachsorge

Nach dem Eingriff ist in der Regel ein stationärer Aufenthalt von rund zehn Tagen erforderlich, da die frisch Operierten alle ein bis zwei Stunden umgelagert und die Wunden sorgfältig kontrolliert werden müssen. Wichtig ist, die Wundnähte für etwa drei Wochen nach der OP konsequent zu entlasten. Sobald die Wunde nicht mehr gereizt ist, können die Patienten nach Hause oder in eine Kurzzeitpflege entlassen werden.5

In der ambulanten postoperativen Nachsorge geht es darum, ein Dekubitus-Rezidiv zu verhindern und weitere Ulzera zu vermeiden. Dazu sind die folgenden Maßnahmen wichtig:1

  • Durch spezielle Lagerungstechniken und -matratzen wird die Druckexposition der immobilisierten Operierten optimiert.
  • Nach einer Lappenplastik im Gesäßbereich sollten die Patienten 10 bis 14 Tage in Bauchlage verbringen. 
  • Nach fünf bis sechs Wochen können die betroffenen Regionen sukzessiv aufbelastet werden – zum Beispiel mit „progressivem Sitzen“.7

Weitere Empfehlungen betreffen das Wundmanagement, darunter:7

  • Tägliche Hautinspektion (auch an den Fersen), da die Betroffenen ein hohes Risiko für weitere Druckgeschwüre (außerhalb des Lappens) haben.
  • Tägliche Hautpflege mit dem Ziel, einerseits eine Austrocknung zu verhindern, andererseits Feuchtigkeit auf der Haut (und in Textilien) zu vermeiden.
Praxistipp: Progressives Sitzen nach Lappenplastik

Ziel des „progressiven Sitzens“ ist es, Scherkräfte und Ischämien im Lappen zu verringern. Die Operierten können etwa zwei bis sechs Wochen nach dem Eingriff damit beginnen. Wichtig ist jedoch, den Lappen hinsichtlich Verfärbungen und Wundrandablösungen sorgfältig zu beobachten. Bei nicht-querschnittsgelähmten Patienten läuft das progressive Sitzen so ab:7

  • Tag 1: 3-mal täglich 10 Minuten sitzen (verteilt, nicht 30 Minuten am Stück)

Die folgende Ausdehnung der „Sitzdauer“ ist jeweils möglich, wenn keine Rötungen des Lappens oder Inzisionen erkennbar sind.

  • Tag 2: 3-mal täglich 20 Minuten sitzen
  • Tag 3: 3-mal täglich 30 Minuten sitzen
  • Tag 4: 3-mal täglich 45 Minuten sitzen
  • Ab Tag 5: kontinuierliche Erhöhung der Sitzdauer bis auf 3-mal täglich 2 Stunden als Höchstgrenze.

Wie lange ist die Heilungsdauer nach einer Lappenplastik bei Dekubitus

Eine häufige Frage der Betroffenen lautet vermutlich, wie lange es dauert, bis die Lappenplastik-Wunde verheilt ist. Die Heilungsdauer hängt von vielen Faktoren – unter anderem der Ernährung – ab. In der Literatur findet man zum Beispiel diese Angaben:8,9

  • Im Median 48 Tage bei 85 Patientinnen und Patienten mit einer Rückenmarksverletzung und Dekubitus8
  • Im Durchschnitt 37,77 ± 46,28 Tage in einer retrospektiven Studie mit 120 Lappenplastiken bei Dekubitus-Patienten9

Komplikationen bei Lappenplastiken in der Dekubitus-Therapie

Lappenplastiken sind stark belastende Eingriffe bei häufig mehrfach vorerkrankten Menschen. Daher kann es zu teilweise erheblichen Komplikationen kommen, zum Beispiel:1,9

  • Lebensbedrohliche Sepsis oder Pneumonie
  • Hämatome (häufigste Komplikation)
  • Serome mit nachfolgenden Infektionen und Lappennekrosen 
  • Wundheilungsstörungen in 15 % bis 30 % der Fälle
  • Dehiszenzen, Infektionen, partielle Nekrosen
  • Rezidiviertes Aufbrechen instabiler Narben 
  • Narbenkarzinome aufgrund von mehrfachen Rezidiven
  • Spender-Areal-Defekte mit teilweisem Funktionsverlust (zum Beispiel Muskulatur)
  • Außerdem: Osteomyelitis und Bakteriämie

Bei 30 % bis 60 % der chirurgisch versorgten Dekubitus-Ulzera kommt es zu einem Rezidiv.1

Die wichtige Rolle der Pflege jenseits der Lappenplastik-Wunden

Die chirurgische Intervention beseitigt nur die Anzeichen, nicht aber die Ursachen eines Dekubitus. Bei der Ursachenbeseitigung spielt die Pflege eine wichtige Rolle, um die Entwicklung von Druckgeschwüren primär zu vermeiden. Dazu gehören die klassischen Maßnahmen der Dekubitus-Prophylaxe – von der Hautinspektion über die Positionierung bis zur Hautpflege.10 

Außerdem können folgende pflegerische Maßnahmen die Wundheilung fördern:1

  • Verbesserte Blutzirkulation durch Mobilisierung mit einem Bewegungsplan
  • Vermeidung von Mangelernährung – gerade bei älteren Pflegebedürftigen, aber auch bei Jüngeren mit beispielsweise Querschnittslähmung, die sich mitunter einseitig ernähren.

Mehr zu Dekubitus und dessen Prophylaxe erfahren Sie im Beitrag 

Dekubitusprophylaxe: Diese Hilfsmittel empfiehlt der Expertenstandard

und in der Rubrik 

Dekubitus – Definition, Versorgung, Prophylaxe“.

Literatur:

Die Autorin Michelle Eisenberg
Michelle Eisenberg, examinierte Pflegekraft

Michelle Eisenberg ist examinierte Pflegekraft mit der Zusatzqualifikation Praxisanleitung in der Pflege.
Sie hat sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege Erfahrung gesammelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Frau Eisenberg im Kundenservice von Dr. Ausbüttel im Bereich Beratung.