Wundversorgung bei Demenzpatienten
Der Patient entfernt den Verband und fasst die Wunde einfach an? Er reagiert aggressiv beim Verbandwechsel? – All dies ist bei der Wundversorgung von Menschen mit Demenz nicht selten. Wie Pflegekräfte typische Komplikationen vermeiden können.
Eine typische Situation in der Altenpflege: Die Pflegefachkraft Bettina May möchte einen Verbandwechsel bei der neuen Bewohnerin Frau M. durchführen. Die 86-jährige Frau ist an Demenz erkrankt und ist vor zwei Tagen in die Einrichtung gekommen. Sie hat einen größeren Hautabriss am Unterarm, die Wunde soll laut ihrem Hausarzt täglich inspiziert und neu verbunden werden. Doch kaum beginnt die Pflegerin mit dem Verbandwechsel, fängt Frau M. an zu schreien und um sich zu schlagen. Weil die Bewohnerin kaum zu beruhigen ist, bricht Frau May die Pflegehandlung erst einmal ab.
Wundversorgung und Demenz – häufige Probleme
Ob diabetisches Fußsyndrom, Ulcus cruris oder Hautabrisse: Wunden kommen bei Menschen mit Demenz häufig vor und benötigen eine gute Wundversorgung. Doch gerade diese gestaltet sich oft schwierig und bringt professionelle Helfer nicht selten an ihre Grenzen. Typische Probleme, die auftauchen können, betreffen: 1. den Verbandwechsel, 2. das Tragen des Wundverbandes, 3. das Erkennen von Schmerzen.
1. Verbandwechsel wird verweigert
Der Patient mit Demenz kann beim Verbandwechsel aggressiv reagieren und sich der Wundversorgung verweigern. Je nach Demenzstadium bleibt er nicht sitzen oder liegen, fängt an zu rufen oder schreien, oder behindert den Verbandwechsel durch unwillkürliche Bewegungen. Ein möglicher Grund können Schmerzen beim Verbandwechsel sein oder auch, dass die Person nicht ausreichend auf die Intervention vorbereitet wurde. Auch kann es während des Verbandwechsels vorkommen, dass die betroffene Person aus Neugierde die Wunde mit den Händen berührt.
2. Verband wird entfernt
Muss die Wunde über einen längeren Zeitraum mit einem Verband versorgt werden, kann es sein, dass dieser von der Person mit Demenz einfach entfernt wird. Mögliche Ursachen: Der Verband juckt, drückt oder stört und der Patient kann sich nicht mitteilen. Vielleicht ist der Patient auch neugierig, ob die Wunde nun schon besser aussieht, und möchte nachschauen. Bei einer fortgeschrittenen Demenz hat der Patient vielleicht auch vergessen, dass er eine Wunde hat. Er entdeckt den Verband zufällig und fängt an, am Verband zu nesteln und ihn zu entfernen.
3. Schmerzen werden nicht erkannt
Wunden können Schmerzen verursachen, vor allem beim Verbandwechsel. Oft können Menschen mit Demenz ihre Schmerzen aber nicht adäquat artikulieren, sodass keine ausreichende Schmerztherapie stattfindet.
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Tipps für die Wundversorgung bei Demenz
Die folgenden Tipps helfen, den Verbandwechsel und das Tragen eines Verbandes für Menschen mit Demenz zu erleichtern.
1. Sichere Umgebung beim Verbandwechsel schaffen
Eine ruhige Kontaktaufnahme – bestmöglich durch eine vertraute Person – erleichtert die Situation beim Verbandwechsel. Der Mensch mit Demenz sollte verständlich über die Intervention informiert werden und ausreichend Zeit haben, um sich darauf vorzubereiten. Damit kann vermieden werden, dass der Patient panisch wird und automatisch in eine Abwehrhaltung geht. Wenn möglich sollte eine vertraute Bezugsperson beim Verbandwechsel anwesend sein. In der häuslichen Versorgung können Angehörige auch angeleitet werden, den Verbandwechsel selbst zu übernehmen.
Sinnvoll ist es den Patienten bei Demenz in den Verbandwechsel einzubinden, zum Beispiel, indem der Patient die Abfalltüte für den alten Verband hält. Das lenkt den Patienten ab und kann die Akzeptanz für die Maßnahme steigern.
2. Den Verbleib des Verbandes fördern
Wird der Verband immer wieder entfernt, ist das der Wundheilung abträglich. Pflegekräfte sollten deshalb durch unterschiedliche Maßnahmen unterstützen, dass der Verband auf der Wunde verbleibt. Grundsätzlich sollte der Patient möglichst nicht unbeobachtet bleiben, sodass er direkt abgelenkt werden kann, wenn er beginnt, den Verband zu entfernen. In diesem Fall sollte der Mensch mit Demenz ohne Vorwurf gefragt werden, warum er den Verband entfernen möchte. Vielleicht juckt oder ziept er ihn und ein anderer Verband wäre für ihn angenehmer zu tragen. Grundsätzlich ist die Verwendung von nicht-klebenden Verbänden bei Demenz oft günstiger, weil sie weniger an der Haut ziehen und weniger gespürt werden. Gibt der Patient an, dass es nachschauen möchte, ob die Wunde schon besser aussieht, kann es auch helfen, Wundfotos mit verschiedenen Heilungsstadien zu zeigen und zu sagen: „So könnte Ihre Wunde jetzt aussehen.“.
Manchmal hat der Patient vergessen, dass er eine Wunde hat, entdeckt den Verband und nestelt an ihm herum. Hier kann die Pflegekraft Ablenkung schaffen, indem sie ihm andere Möglichkeiten zum Tasten und Nesteln bietet, zum Beispiel ein Handschmeichler oder eine Nesteldecke. Dann ist der Verband weniger interessant. Möglich ist es auch, die Wundverbände zu „tarnen“ oder zu schützen, zum Beispiel mithilfe von hautfarbenen Verbänden oder einem Strumpf/Schlauchverband, der über den Verband gezogen wird. Auch ein zweiter „Ablenkverband“, zum Beispiel am Handgelenk, kann die Aufmerksamkeit von dem Wundverband auf etwas anderes richten.
3. Wundschmerzen frühzeitig erkennen
Mit zunehmender Demenz können die Betroffenen Schmerzen oft nicht mehr adäquat formulieren. Daher müssen Pflegekräfte besonders aufmerksam für nonverbale Signale sein, zum Beispiel Gesichtsausdruck, Lautäußerungen, Körperhaltung. Oft zeigen Menschen mit Demenz ihre Schmerzen auch versteckt, indem sie verhaltensauffällig werden. Ist eine sinnvolle Selbstauskunft nicht mehr möglich ist, sollte auf ein Fremdbeobachtungsinstrument zurückgegriffen werden, zum Beispiel:
- BESD – Beurteilung von Schmerzen bei Demenz
- BISAD – Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz.
Zudem kann es hilfreich sein, bereits vor Verbandwechsel Schmerzmittel zu verabreichen, um Schmerzen während des Wechsels zu verringern.
Das Fallbeispiel veranschaulicht die Schwierigkeit der Wundversorgung bei Menschen mit Demenz: die Adhärenz der Patientin ist eingeschränkt, es besteht eine Mangelernährung.
Fallbeispiel lesenAuf den Menschen mit Demenz eingehen
Bei Menschen mit einer Demenz braucht es neben einer modernen Wundversorgung einen Umgang, bei dem die professionellen Helfer besonders auf die betroffene Person eingehen. Eine sehr wichtige Rolle spielen dabei die Beziehungsgestaltung und Person-zentrierte Pflege. Das bedeutet für die Pflegekraft, den Menschen mit Demenz als gleichberechtigtes Gegenüber wahrzunehmen und anzuerkennen, damit dieser sich gehört, verstanden, angenommen und mit anderen Personen verbunden fühlt. Gelingt diese Grundhaltung, kann dies auch die Wundversorgung erleichtern und somit zur Wundheilung beitragen.
Die Pflegefachkraft Bettina May hat nach ihrem ersten erfolglosen Versuch mit ihrem Verbandwechsel bei Frau M. bis zum Nachmittag gewartet. Gemeinsam mit der Tochter von Frau M. haben sie dann den Verband gemeinsam entfernt und einen neuen angelegt. Frau M. hat interessiert zugeschaut und geholfen, einen Schlauchverband über den Wundverband zu ziehen. Die Wunde sieht reizlos aus, und die Bewohnerin zeigt keine Schmerzzeichen. Trotzdem hat die Pflegefachkraft vorsichtshalber eine Bedarfsmedikation mit dem Hausarzt abgeklärt – für den Fall der Fälle.