Schmerzschrittmacher: Mit Neuromodulation gegen den Schmerz
Die epidurale Rückenmarkstimulation („Schmerzschrittmacher“) gehört zu den invasiven Therapiemethoden in der Schmerzmedizin, beispielsweise bei chronischen, neuropathischen Schmerzen. Wie funktionieren Schmerzschrittmacher und wie sieht die postoperative Nachsorge aus?
Was ist ein Schmerzschrittmacher (Rückenmarkstimulator)?
Bei einem Schmerzschrittmacher (Rückenmarkstimulator, implantierbares Neurostimulationssystem) handelt es sich um ein elektronisches Implantat zur epiduralen Rückenmarkstimulation (Neurostimulationsgerät). Es wird mit einem operativen Eingriff im Epiduralraum (Bereich des Spinalkanals/Rückenmarkskanals) eingesetzt.4,5 Dort gibt der Schmerzschrittmacher elektrische Impulse auf die Nervenstrukturen, um Schmerzen zu lindern (Neuromodulation).1-3
Ein Schmerzschrittmacher besteht aus drei Grundkomponenten:4,5
- Implantierbarer Impulsgenerator, der elektrische Impulse („Stromschläge“) erzeugt.
- Elektroden („Drähte“), die die elektrischen Impulse an bestimmte Nervenstrukturen weitergeben.
- Kabel, die den Impulsgenerator mit den Elektroden verbinden.
Über ein externes Gerät können die Patientinnen und Patienten die Stärke der Neurostimulation anpassen.4-6
Heute stehen verschiedene Implantat-Typen zur Verfügung. Ein wesentlicher Unterschied ist dabei, ob die Schmerzschrittmacher Parästhesien verursachen oder nicht. Bei Parästhesien handelt es sich um Fehlempfindungen wie Kribbeln, die die Schmerzen überlagern. Weitere Unterscheidungsmerkmale der Schmerzschrittmacher-Arten sind unter anderem:4
- Hohe oder niedrige Frequenz der Impulsabgabe
- Anhaltende oder tonische Impulse
- Aufladbar oder nicht aufladbar (batteriebetrieben)
Neben dem Epiduralraum können Schmerzschrittmacher und ähnliche Neurostimulationssysteme auch in andere Körperbereiche implantiert werden, wie zum Beispiel:2
Dorsal Root Ganglion Stimulation (DRG): Implantation direkt in das Neuroforamen (Nervenaustrittskanäle der Wirbelsäule) der gewünschten Nervenwurzel mit direkter Stimulation der nervalen Struktur.
- Occipital Nerve Stimulation (ONS): Die Elektroden werden subkutan am Hinterkopf über den dort verlaufenden Nerven implantiert.
- Sakral Nerve Stimulation (SNS): Die Elektroden liegen epidural auf den sakralen Nerven oder medial im Hiatus sacralis (Kreuzbeinöffnung).
- Periphere Nervenfeld Stimulation (PNFS): Mehrere Elektroden werden meist subkutan im Schmerzgebiet eingesetzt (bei lokalen Schmerzzuständen).
Wie funktioniert ein Schmerzschrittmacher (Rückenmarkstimulator)?
Schmerzschrittmacher oder Rückenmarkstimulatoren funktionieren über die Neuromodulation des Tractus spinothalamicus (aufsteigende Nervenfaser) im Rückenmark, der wiederum den Schmerz reguliert. Diese Nervenbahn ist beispielsweise bei chronischen Schmerzen gestört. Dazu unterdrückt der Schmerzschrittmacher die Reizleitung dieser Neuronen im Dorsalhorn des Rückenmarks (Abb. 1).4
Da der Effekt der Neuromodulation noch nicht vollständig erforscht ist, bestehen verschiedene Vermutungen.2 Bei der Gate-Control-(Tor-Kontroll)-Theorie nimmt man zum Beispiel an, dass periphere Schmerzen, die von zwei bestimmten Nervenfasertypen (C- und A-Delta-Fasern) weitergeleitet werden, durch die Stimulation der größeren A-Beta-Nervenfasern (für Berührungsreize zuständig) unterbrochen werden können. Das heißt vereinfacht, die Aktivierung der A-Beta-Nervenfasern blockiert das „Tor“ für das Aufsteigen der Schmerzimpulse über die C- und A-Delta-Fasern zum Gehirn.5 Dazu werden wichtige Neurotransmitter wie Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im Rückenmark freigesetzt. Neben dieser Gate-Control-Theorie werden weitere Hypothesen zum Wirkmechanismus diskutiert.2
Bei gegebener Indikation übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für einen Schmerzschrittmacher.6
Indikationen und Einsatzgebiete für Schmerzschrittmacher
Laut der „S3-Leitlinie Epidurale Rückenmarkstimulation zur Therapie chronischer Schmerzen“ eignet sich die Implantation eines Schmerzschrittmachers für die Patientinnen und Patienten mit:3
- Persistierenden spinalen Schmerzen Typ I und II (früher: Failed Back Surgery Syndrom; FBSS)
- Einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) Typ I und II
- Peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK)
- Angina pectoris
- Chronischen neuropathischen Schmerzen anderer Genese
Nach der Praxisleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) sind chronisch-neuropathische Schmerzzustände die Hauptindikation für neuromodulative Behandlungsmethoden.2
Dagegen scheinen Patientinnen und Patienten mit Stumpf- und Phantomschmerzen nach Amputationen oder mit Querschnittslähmung nicht von einem Schmerzschrittmacher zu profitieren.5
Wichtig zu wissen: Vor der Indikationsstellung für einen Schmerzschrittmacher, müssen die bisherige konservative, medikamentöse sowie physio- und psychotherapeutischen Maßnahmen zum multimodalen Schmerzmanagement sorgfältig geprüft werden.3 Lassen sich die Schmerzen mit Analgetika und Physiotherapie gut kontrollieren, sollten Schmerzschrittmacher zurückhaltend angewendet werden.2
Außerdem muss vor der Implantation eines Schmerzschrittmachers eine umfassende psychologische, psychiatrische und psychosomatische Evaluation der Patientinnen und Patienten durchgeführt werden.3
Kontraindikationen, die gegen einen Schmerzschrittmacher sprechen
Zu Rückenmarkstimulatoren liegen wenige Studiendaten vor, sodass es kaum Empfehlungen zu Kontraindikationen gibt. Es gelten daher grundsätzlich ähnliche Kriterien, die gegen andere elektive Eingriffe sprechen:5
- Infektionen an den Operationsstellen
- Anomale Anatomien an den Operationsstellen, die eine sichere Platzierung ausschließen würden
- Unkontrollierte systemische Erkrankungen
- Unkontrollierte Blutungsdiathese
Schmerzschrittmacher sind zudem ungeeignet für Menschen mit stark eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit oder unzureichender Adhärenz, da deren Anwendung ein Mindestmaß an Kooperation und Verständnis voraussetzt. Zum Beispiel regulieren die Patientinnen und Patienten die Stimulation nach Bedarf über ein elektronisches Handgerät, für dessen Bedienung ein Verständnis des Therapieprinzips und des Umgangs mit dem Gerät erforderlich ist.2
Besondere Empfehlungen gelten für Patientinnen und Patienten unter einer medikamentösen Antikoagulation (Blutverdünner).2
Übrigens: Implantierbare Defibrillatoren oder Herzschrittmacher stellen per se keine Kontraindikation für eine neuromodulative Therapie dar. Allerdings tragen die operierenden Ärztinnen und Ärzte das Risiko.2
Wie werden Schmerzschrittmacher implantiert?
Die Implantation eines Schmerzschrittmachers gehört zu den anspruchsvollsten Verfahren in der interventionellen Schmerzmedizin, für das höchste Hygienestandards gelten.5 Das Einsetzen des Rückenmarkstimulators erfolgt in Bauchlage und in der Regel in zwei Schritten:3
1. Testimplantation
Zunächst wird mit dem Einsetzen von ein bis zwei Testelektroden der Effekt der Rückenmarkstimulation im Einzelfall überprüft.3 Für diesen Eingriff erhalten die Patientinnen und Patienten eine Spinalanästhesie, damit sie bei Bewusstsein sind. Denn es ist erforderlich, dass die Patientin oder der Patient während des Eingriffs bei der genauen Platzierung der Elektroden mitwirkt und das dadurch entstehende „Kribbeln“ mitteilt.4-6 Dazu werden die Testelektroden meist perkutan in den thorakolumbalen Epiduralraum implantiert und über Verlängerungskabel an einen externen Stimulator angeschlossen.3 Dieser Eingriff dauert bis zu zwei Stunden und kann ambulant oder mit einem kurzen stationären Aufenthalt durchgeführt werden.6
Die Testphase dauert sechs bis zwölf Tage und wird sorgfältig dokumentiert. Nach der S3-Leitlinie gilt der Testlauf als erfolgreich, wenn diese Kriterien erfüllt sind:3
- Mindestens 50 % Schmerzreduktion (unabdingbare Voraussetzung)
- Schilderungen der Patientinnen und Patienten hinsichtlich der Verbesserung seiner Stimmungslage bzw. Lebensqualität
- Das von den Patientinnen und Patienten selbst geäußerte Bedürfnis der Medikamentenreduktion
- Der Wunsch der Patientin oder des Patienten, den Impulsgeber implantiert zu bekommen
2. Vollimplantation
Nach erfolgreicher Testphase wird der Schmerzschrittmacher einschließlich des Impulsgebers unter Vollnarkose endgültig eingesetzt (Dauer: meist eine Stunde, ambulant oder kurzstationär).3-6
- Zunächst wird eine Epiduralnadel unter Röntgenkontrolle in den Epiduralraum eingeführt. Die konkrete Platzierung hängt dabei von der Schmerzlokalisation ab.
- Anschließend wird die Elektrode durch die Epiduralnadel in den Epiduralraum eingeführt und bis zur geeigneten Stelle vorgeschoben, die die Schmerzregion des Betroffenen abdeckt. Es können auch mehrere Elektroden erforderlich sein.
- Dann werden die Elektroden verankert.
- Neben der Elektroden-Implantation wird der Impulsgenerator mit einem zweiten Schritt, meistens in der Bauchwand, eingesetzt.
- Schließlich werden die Elektroden mit Kabel über einen subkutan angelegten „Tunnel“ mit dem Impulsgenerator verbunden.
Wichtig zu wissen: Der Eingriff ist reversibel. Es werden keine Nerven verletzt.6
Nach der Implantation des Schmerzschrittmachers wird die Einstellung der Stimulation und der Therapie-Effekt regelmäßig überprüft. Außerdem werden die weiteren Elemente der multimodalen Schmerztherapie optimiert.2
Postoperative Betreuung nach der Implantation eines Schmerzschrittmachers
Für die Nachsorge nach dem Einsetzen des Rückenmarkstimulators gelten unter anderem die folgenden Empfehlungen:
- Wundversorgung: In den ersten 24 bis 48 Stunden postoperativ wird die Wunde mit einem sterilen Okklusionsverband bedeckt.7
- Wundinspektion: Im Zeitraum von 10 bis 14 Tagen nach dem Eingriff sollte die Wunde sorgfältig auf etwaige Anzeichen einer Infektion beobachtet werden. Wundinfektionen können bis zu 12 Monate nach der Implantation auftreten.7
- Mobilitätseinschränkung: Wichtig ist zudem, das Risiko für ein Brechen oder die Migration (Verrutschen) der Elektroden zu reduzieren. Daher sollten die Betroffenen nach dem Eingriff ein bis zwei Monate lang das Heben, Beugen und Drehen einschränken, bis die Elektroden fest eingewachsen sind.5
- Schmerzmanagement: Nach der Implantation wird die bisherige Schmerzmedikation kritisch geprüft und gegebenenfalls reduziert oder ganz abgesetzt.3
Im weiteren Verlauf werden die Patientinnen und Patienten regelmäßig untersucht und die Einstellungen des Schmerzschrittmachers optimiert.3
Abhängig vom Energieverbrauch müssen aufladbare Schmerzschrittmacher nach etwa neun Jahren ausgetauscht werden. Bei batteriebetriebenen Implantaten ist der Austausch der Stromquelle nach drei bis fünf Jahren erforderlich.6
Die S3-Leitlinie empfiehlt, die Patientinnen und Patienten über die folgenden Komplikationen und Risiken der Implantation eines Schmerzschrittmachers einschließlich Häufigkeiten aufzuklären:3
- Infektionen: 3,7 % - 11 %
- Elektrodenmigration: 11 % - 34 %
- Elektrodenbruch: 0,8 % - 13,4 %
- Schmerzen im Bereich des Impulsgebers: 3 %
- Neurologische Defizite: 0,9 %
- Ineffektivität trotz erfolgreicher Teststimulation: 5 % - 13 %
- Nachlassender Effekt über mehrere Jahre
Möglich sind zudem epidurale Hämatome, Nachblutungen, Nervenverletzungen und Lähmungen.3,5 Schwere Komplikationen nach der Implantation des Schmerzschrittmachers sind aber generell selten.5