Necrobiosis lipoidica

Necrobiosis lipoidica

Die seltene Dermatose (Nekrobiose) Necrobiosis lipoidica tritt vor allem an den unteren Extremitäten auf. Bei einigen Patienten kommt es zu Ulzerationen. Kompressionstherapie und Wundmanagement sind wichtige Bausteine ihrer Behandlung.1,2

Was heißt „Necrobiosis lipoidica“?

Bei der Necrobiosis lipoidica (oder auch: Necrobiosis lipoidica diabeticorum) handelt es sich um eine seltene granulomatöse Hauterkrankung (Dermatose), die sich vor allem am Schienbein (Streckseiten der unteren Extremitäten) manifestiert. Das Krankheitsbild dieser Nekrobiose wurde erstmals 1929 als „disseminierte Degeneration des Bindegewebes [...] bei einem Diabetiker“ beschrieben und zunächst Dermatitis atrophicans (lipoides) diabetica genannt. 1932 wurde erstmals der Begriff Necrobiosis lipoidica diabeticorum verwendet.1,2

Wie häufig ist die „Necrobiosis lipoidica“?

Mit weniger als einer Neuerkrankung pro 100.000 Personen pro Jahr gehört die Necrobiosis lipoidica  zu den seltenen Erkrankungen.1Es fehlen allerdings zuverlässig epidemiologische Daten.2 Obwohl diese Nekrobiose vor allem Erwachsenen im mittleren Alter betrifft, können auch Kinder und ältere Personen daran erkranken. Frauen entwickeln häufiger eine Necrobiosis lipoidica als Männer (Verhältnis 3:1 bis 6:1).2 So sind je nach Quelle mindestens 75 % der Betroffenen weiblich mit einem durchschnittlichen Erkrankungsalter von 50 Jahren.1

Unklare Ursachen und viele Hypothesen

Bis heute sind die Ursachen der Necrobiosis lipoidica nicht geklärt. Es existieren jedoch verschiedene Hypothesen:2,3

  • Mikroangiopathie (Schädigung der kleinen Blutgefäße)

Da ein großer Teil der Patienten mit Necrobiosis lipoidica auch an Diabetes erkrankt ist, liegt es nahe, beim Pathomechanismus an eine Mikroangiopathie zu denken. Dafür spricht unter anderem, dass bei Necrobiosis lipoidica diabeticorum ähnliche Gefäßveränderungen auftreten wie bei den Gefäßen in den Augen und Nieren von Menschen mit Diabetes. Überdies findet man in den Blutgefäßwänden bei Menschen mit diabetischer Mikroangiopathie und bei jenen mit Necrobiosis lipoidica diabeticorum Glykoproteinablagerungen.2,3

  • Degeneration des Kollagens

Menschen mit Necrobiosis lipoidica  weisen eine reduzierte Kollagenkonzentration auf. Außerdem ist ein Verlust der Querstreifen der Kollagenfibrillen oder sogar des gesamten Kollagens und Elastins nachweisbar.2,3

  • Immunologische Prozesse

Möglicherweise lösen auch Ablagerungen von Immunglobulinen, des Komplementfaktors C3 (Schlüsselprotein der Immunantwort) und Fibrinogen an den Gefäßwänden eine Necrobiosis lipoidica aus. 

Nach einer weiteren Theorie könnten Antikörper-vermittelte Reaktionen die Blutgefäße verändern und zu einer Nekrobiose führen.3

  • Entzündungsprozesse

Traumata und andere Auslöser können die Migration von Neutrophilen (weiße Blutkörperchen) erhöhen. In der Folge verstärkt sich die Aktivität der Makrophagen („Fresszellen“) und es können sich Granulome (knötchenförmige Ansammlung von Makrophagen) bilden.2,3

Es ist bis jetzt auch unklar, ob und wie die oben genannten Prozesse miteinander in Verbindung stehen.2

Häufige Begleiterkrankungen

In der Literatur finden sich Hinweise auf weitere Erkrankungen, die bei Menschen mit Necrobiosis lipoidica zeitgleich auftreten. So deuten verschiedenen Quellen auf einen Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus und Necrobiosis lipoidica diabeticorum hin: Bei 11 % bis 65 % der Patienten mit Necrobiosis lipoidica diabeticorum besteht eine diabetische Stoffwechsellage oder sie entwickelt sich im Erkrankungsverlauf. Bei diesen Patienten ist die Blutzuckerkontrolle oft schwieriger.2

Neben Diabetes mellitus zeigen Studiendaten, dass Patienten mit Necrobiosis lipoidica  häufiger bestimmte Begleiterkrankungen aufweisen, zum Beispiel:

  • Hyperlipidämie
  • Adipositas
  • Hypertonie
  • Autoimmunthyreoiditis (Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse)
  • Schilddrüsenfunktionsstörungen

Klinisches Bild und Symptome der Necrobiosis lipoidica

Zum typischen klinischen Bild der Necrobiosis lipoidica gehören die folgenden Hautveränderungen aufgrund von Kollagenabbau, Granulombildung, Fettablagerungen und verdickten Blutgefäßen:2,3

  • Beginn mit mehreren gut abgegrenzten Knötchen oder Papeln, die zu Plaques zusammenwachsen.
  • Meist ovale Plaques mit bräunlichen bis bräunlich-lividen Rändern und einem zentral zu Beginn rötlich-braunen und später dann gelblich-bräunlichen atrophen, nekrotischen Kern.
  • Häufig gut sichtbare, stark geschlängelte Teleangiektasien (irreversibel erweiterte Kapillargefäße) aufgrund des Kollagenabbaus. Dabei sind die Gefäße häufig durch Anastomosen miteinander verbunden und baumartig verzweigt.
  • Selten sind perifollikuläre Erytheme oder eine follikuläre Hyperpigmentierung.

Diese Hautveränderungen können einzeln (solitär) oder – häufiger – in größerer Zahl und konfluierend (ineinander übergehend) auftreten. So weist durchschnittlich jeder Patient mit Necrobiosis lipoidica 3,37 Läsionen auf. Bei durchschnittlich 12,7 % bis 35 % der Patienten können sich aus den Plaques im weiteren Verlauf Ulzerationen entwickeln. Ein erhöhtes Ulzerationsrisiko haben Männer und Menschen mit einem schlecht kontrollierten Diabetes mellitus.2

Typischerweise finden sich die Läsionen in den prätibialen Bereichen der Unterschenkel (Schienbein) – oftmals beidseitig. Weitere mögliche (meist zusätzliche) Lokalisationen sind:2

  • Arme und Abdomen (circa 7 % bis 15 %)
  • Genitalbereich

Neben den Hautveränderungen hat die Mehrheit der Patienten mit Necrobiosis lipoidica  im Frühstadium keine oder wenige klinische Symptome. Möglich sind allerdings:

  • Juckreiz
  • Missempfindungen (Dysästhesie)
  • Schmerzen

Diagnostik der Necrobiosis lipoidica

Gemäß aktueller S1-Leitlinie zur Behandlung der Necrobiosis lipoidica diabeticorum reicht für die eindeutige Diagnosestellung in der Mehrheit der Fälle das typische klinische Bild (klinische Diagnose) aus. Dabei sollten die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:2

  1. Anamnese:
    • Bei Frauen häufiger als bei Männern
    • Manifestation typischerweise im mittleren bis höheren Erwachsenenalter
    • Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes sind auch Fälle im Kindesalter beschrieben
    • Vorliegen einer Begleiterkrankung (siehe oben)
  2. Klinik
    • Bräunlich-gelbliche Plaques mit initial entzündlichem Randsaum, im Verlauf atrophem Zentrum
    • Häufige Lokalisation an den Unterschenkeln vor allem prätibial
    • In den Plaques kann eine Ulzeration auftreten 

Ergänzend zur klinischen Beurteilung kann eine dermatoskopische Untersuchung in Betracht gezogen werden.2 

Eine histologische Untersuchung (Gewebebiopsie) wird in klinisch unklaren Fällen (zum Beispiel ungewöhnlicher Lokalisation oder zur Abgrenzung von Differentialdiagnosen), bei Ulzeration oder bei Hinweisen auf eine Krebserkrankung empfohlen. Dabei besteht aber ein hohes Risiko für Wundheilungsstörungen.2

Für die Necrobiosis lipoidica  gibt es keine spezifischen Laborparameter. Allerdings kann die Labordiagnostik bei der Abklärung von Begleiterkrankungen unterstützen.2

 Necrobiosis lipoidicaGranuloma anulare
Klinisches BildHäufig Teleangiektasien in der DermatoskopieKeine Teleangiektasien in der Dermatoskopie
Lokalisation der LäsionenVor allem in den prätibialen Bereichen der Unterschenkel Typischerweise am Handrücken, an den Fingerstreckseiten oder am Fußrücken

Tabelle 1: Wesentliche Unterschiede zur Abgrenzung Necrobiosis lipoidica versus Granuloma anulare2

Wichtige Differentialdiagnosen der Necrobiosis lipoidica

Die S1-Leitlinie empfiehlt, eine Reihe von Differentialdiagnosen der Necrobiosis lipoidica zu berücksichtigen.2 Dazu gehören:

  • Granuloma anulare (Tab. 1)
  • Kutane Sarkoidose
  • Necrobiotisches Xanthogranulom

Bei Patienten mit Ulzeration kommen die folgenden Differentialdiagnosen infrage: 

Seltene Differentialdiagnosen der Necrobiosis lipoidica sind:

  • Morphea
  • Stauungsdermatitis
  • Purpura jaune d´ocre
  • Erythema nodosum
  • Erythema induratum
  • Lichen sclerosus et atrophicus
  • Radioderm
  • Tertiäre Lues
  • Noduläre Pannikulitis
  • Tuberkuloide Lepra

Behandlung der Necrobiosis lipoidica

Bis jetzt gibt es keine randomisierten, placebo-kontrollierten, klinischen Studien zur Wirksamkeit von Behandlungsoptionen bei Necrobiosis lipoidica. In der aktuellen S1-Leitlinie wurde der derzeitige Wissensstand zur Therapie zusammengefasst. Der Therapiealgorithmus besteht aus einer nicht-medikamentösen Basistherapie und weiteren pharmakologischen – topischen und systemischen – Therapieoptionen (Abb. 1).2

Abb. Klinischer Algorithmus zur Therapie der Necrobiosis lipoidica gemäß aktueller S1-Leitlinie; Anwendungen mit * sind off-label (außerhalb der Zulassung).

1. Basistherapie

Die S1-Leitlinie gibt die folgenden Empfehlungen zur Basistherapie von Patienten mit Necrobiosis lipoidica:2

  • Bei Patienten mit zugleich Diabetes mellitus ist es sinnvoll, die diabetische Stoffwechsellage zu optimieren. Allerdings kann ein direkter Einfluss der glykämischen Situation auf die Krankheitsaktivität nicht sicher beurteilt werden
  • Wichtige weitere Bausteine sind die Kompressionstherapie und Wundtherapie, die unter „Wundmanagement und Kompressionstherapie bei Necrobiosis lipoidica“ ausführlich beschrieben werden.

2. Weitere Therapieoptionen

Als weitere Behandlungsmöglichkeiten können verschiedene Lichttherapien und die Lasertherapie infrage kommen:2

  • Mit Blick auf die verschiedenen Formen der Lichttherapie sprechen die Autoren der S1-Leitlinie „Kann-Empfehlungen“ aus für die (Creme)-PUVA-Therapie, die Bestrahlung mit langwelligem ultraviolettem Licht (UVA1) und die photodynamische Therapie (PDT). Bei der PUVA-Therapie erhalten die Patienten zunächst einen Lichtsensibilisator (meist 8-Metoxypsoralen) als Creme, Badezusatz oder oral, bevor ihre Läsionen mit langwelligem ultraviolettem Licht (UV-A) bestrahlt werden. Ähnlich funktioniert die PDT, wobei langwelliges Rotlicht statt UV-A verwendet wird.
  • Eine mögliche, von der S1-Leitlinie empfohlene, Option ist die Behandlung mit einem fraktionierten CO2-Laser. Dabei wird der Laserstrahl in eine Vielzahl kleiner Strahlenimpulse aufgeteilt und das Gewebe lokal erhitzt, um so Fibroblasten zu aktivieren.

3. Weitere pharmakologische Therapiemaßnahmen

Die medikamentösen Therapieoptionen bei Necrobiosis lipoidica unterteilen sich in topische und systemisch anzuwendende Präparate, die jedoch meistens außerhalb ihrer Zulassung (off-label) angewendet werden. Dabei ist es wichtig, die folgenden Voraussetzungen zu beachten:2

  • Topische Therapie

Topische antientzündlich wirkende Präparate sind nur im inflammatorischen Randbereich der Läsionen wirksam. Deshalb sollten sie nur dort angewendet werden. Im Zentrum der Läsion besteht dagegen meistens eine Atrophie ohne Entzündungsreaktionen, sodass dort eine Applikation von antientzündlichen Wirkstoffen nicht sinnvoll ist. Die meisten Patienten mit Necrobiosis lipoidica erhalten eine topische Therapie – meistens mit hochpotenten Glukokortikosteroide (GKS) und Tacrolimus.2

  • Systemische Therapie

Bei Patienten mit einem schweren Verlauf der Necrobiosis lipoidica, insbesondere bei Ulzerationen, kann eine Systemtherapie mit anti-entzündlich wirkenden Substanzen infrage kommen – darunter systemische Glukokortikoide, Fumarsäureester und Biologika. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Läsionen eine entzündliche Aktivität aufweisen. Mit einer systemischen Therapie ist es nicht möglich, bereits vorhandene atrophe Läsionen zurückzubilden.2

Operative Therapie der Necrobiosis lipoidica

In einigen wenigen Fällen kann eine operative Therapie infrage kommen. Dabei wird die Hautveränderung vollständig entfernt (exzidiert) und anschließend mit einem Spalthauttransplantat abgedeckt. Allerdings beschränkt sich diese invasive Therapieoption auf einzelne Läsionen.2

Wundmanagement und Kompressionstherapie bei Necrobiosis lipoidica

Neben den beschriebenen lokalen physikalischen und pharmakologischen Maßnahmen enthält die S1-Leitlinie Empfehlungen zur Wund- und Kompressionstherapie bei Necrobiosis lipoidica.2

1. Wundtherapie der Necrobiosis lipoidica2

Bis zu einem Drittel der Patienten mit Necrobiosis lipoidica  sind im Erkrankungsverlauf von häufig therapierefraktären Ulzerationen betroffen. Die Wunden treten vor allem nach Mikrotraumata auf.2

Die S1-Leitlinie weist darauf hin, dass keine spezifischen Empfehlungen zur lokalen Wundbehandlung bei Necrobiosis lipoidica bestehen und gibt die folgenden generellen Hinweise:

  • Die Wundtherapie orientiert sich an den Wundheilungsphasen.
  • Wichtig ist, individuelle Faktoren wie Schmerzen, Exsudation oder lokale Infektion zu berücksichtigen.

Außerdem empfiehlt die S1-Leitlinie das M.O.I.S.T-Konzept als Orientierungshilfe für die lokale Wundbehandlung. Es besteht aus den Elementen Exsudatmanagement, Sauerstoffbalance, Infektionskontrolle, Unterstützung des Heilungsprozesses und Gewebemanagement.2

2. Kompressionstherapie der Necrobiosis lipoidica2

Bei Patienten mit Necrobiosis lipoidica an den Unterschenkeln spricht die S1-Leitlinie eine Empfehlung für eine Kompressionstherapie aus – unter Beachtung von Kontraindikationen und patientenbezogenen Einschränkungen wie Schmerzen.2

Die Kompressionstherapie verfolgt drei Ziele:

  • Ödemreduktion
  • Verbesserung der Mikrozirkulation
  • antiinflammatorische Effekte

Die Autoren der S1-Leitlinie stellen klar, dass Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK), Herzinsuffizienz oder Polyneuropathie per se keine Kontraindikationen für die Kompressionstherapie darstellen. Dagegen sind eine dekompensierte Herzinsuffizienz und eine fortgeschrittene PAVK (kritische Ischämie) klinische Kontraindikationen. Daher sollte vor dem Beginn einer Kompressionstherapie der Knöchel-Arm-Druck-Index (KADI) bestimmt werden. Liegt der KADI unter 0,5 oder der absolute Knöchelarteriendruck unter 60 mmHg, besteht eine Kontraindikation für die Kompressionstherapie. 

Die S1-Leitlinie gibt zudem die folgenden Empfehlungen zur Durchführung der Kompressionstherapie:

  • Bei intakter Haut: Kompressionsstrümpfe mit der niedrigsten wirksamen Kompressionsklasse (Verbesserung der Adhärenz)
  • Bei ulzerierter Necrobiosis lipoidica : Medizinische Kompressionsverbände mit entsprechenden Materialien, medizinische adaptive Kompression oder Ulkus-Strumpfsysteme – gegebenenfalls mit niedrigem Kompressionsdruckwerten, da die Wunden meist sehr schmerzhaft sind. Auf Basis der vorhandenen Literatur und Erfahrung wird eine Kompressionstherapie gerade bei Ulzerationen empfohlen.

Der Beitrag „M.O.I.S.T.-Konzept zur Lokaltherapie chronischer Wunden“ erklärt dessen einzelne Aspekte im Detail.

MOIST-Konzept

Ausführliche Informationen finden sich im Beitrag „Kompressionstherapie und Kompressionsverband“.

Kompressionstherapie, Kompressionsverband

Aufzeichnungen zum Thema Kompression

Welche Prognose haben Patienten mit Necrobiosis lipoidica?

Die Necrobiosis lipoidica ist eine chronische Erkrankung – das heißt, sie ist nicht heilbar.2  Zudem können die Ulzerationen schmerzhaft sein, sich infizieren und heilen oft mit Narbenbildung ab.3 

Im Erkrankungsverlauf können neben der Narbenbildung und Infektionen weitere Komplikationen auftreten, darunter:3

  • Plattenepithelkarzinome bei chronischen Läsionen und in Verbindung mit früheren Traumata und Ulzerationen.
  • Sepsis 

Eine Behandlung kann aber die Ausbreitung der Läsionen teilweise aufhalten.3

Literatur