Unterschätzt und vermeidbar: Das gilt für Medical Adhesive-Related Skin Injuries (MARSI)
Sie treten in der Versorgungspraxis häufig auf und sind nicht zu unterschätzen: Hautschädigungen durch klebende Verbandmittel (Englisch: Medical Adhesive-Related Skin Injuries, MARSI). Mithilfe sachgerechter Maßnahmen lassen sich MARSI vermeiden.
Was bedeutet „Medical Adhesive-Related Skin Injuries“ (MARSI)?
Medical Adhesive-Related Skin Injuries (MARSI) werden in der Literatur definiert als „[…] das Auftreten von Erythemen und/oder anderen Manifestationen von Hautanomalien (einschließlich, aber nicht ausschließlich, Bläschen, Blasen, Erosionen oder Risse), die nach dem Entfernen des Klebstoffs 30 Minuten oder länger anhalten.“2 Der Begriff schließt alle Schädigungen und Irritationen ein, die durch das Aufbringen und Ablösen von Verband- oder Heilmittel entstehen können.1
Wie häufig sind MARSI?
Die Fachliteratur spricht übereinstimmend davon, dass MARSI häufig auftreten.1,2,3 Allerdings fehlen einheitliche epidemiologische Daten. Die Angaben unterscheiden in der Regel nach der Versorgungssituation (darunter Pflegeeinrichtungen oder Intensivstationen) und nach den Patienten (wie ältere Menschen oder Neugeborene). Dazu zwei Beispiele:2
- 15,5 % kumulative Inzidenz (Kennzahl für neu aufgetretene Krankheitsfälle) bei älteren Menschen in einer Langzeitpflegeeinrichtung
- 8 % Prävalenz (Kennzahl für Krankheitshäufigkeit) bei hospitalisierten Säuglingen und Kindern
Genauere Angaben finden sich zu MARSI in der orthopädischen Chirurgie, wo Klebeverbände im großen Stil eingesetzt werden. So kommt es bei 6 % bis 41 % der Knie- oder Hüftoperationen zu Spannungsblasen als eine Form der MARSI.2 Man geht davon aus, dass MARSI aufgrund der demografischen Veränderungen zunehmen werden.1
Wichtig zu wissen: MARSI können bei allen Menschen, in jedem Alter und in jeder Versorgungsform auftreten. Häufiger betroffen sind jedoch besonders junge (Neugeborene) und alte Menschen.1,2
Wie lassen sich MARSI erkennen?
Zu den typischen Anzeichen von MARSI gehören:1,2,3
- Hautrötungen
- Erosionen oder Ablösung der Haut
- Risse
- Einrisse fragiler Haut (Skin Tears)
- Spannungsblasen oder -verletzungen
- Mazerationen
Der Schweregrad kann von kaum erkennbar bis hin zu tiefen Hautrissen variieren.3
Wichtig für die Abgrenzung von MARSI gegenüber anderen Läsionen wie Dekubitus sind die folgenden Merkmale:1
- Sie treten fast immer nach dem Entfernen eines klebenden Verbands oder Fixiermittels auf.
- Sie persistieren 30 Minuten oder länger, nachdem das entsprechende Verbandmittel entfernt wurde.
Wie entstehen MARSI?
Medical Adhesive-Related Skin Injuries (MARSI) können entstehen, wenn die Verbindung zwischen der Haut und dem Klebstoff stärker ist als zwischen den einzelnen Hautzellen. In der Folge trennen sich die Schichten der Epidermis oder die Epidermis löst sich von der Dermis ab (Abb. 1).3
Welche Risikofaktoren tragen zur Entwicklung von MARSI bei?
Verschiedene Risikofaktoren können die Entwicklung von MARSI begünstigen. Sie lassen sich in zwei Gruppen aufteilen (Tab. 1):1,3
- Systemische oder intrinsische Faktoren, die den ganzen Körper beeinflussen.
- Lokale oder extrinsische Faktoren aufgrund äußerer Einflüsse.
systemisch / intrinsisch | lokal / extrinsisch |
---|---|
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|
Tab. 1: Risikofaktoren für MARSI
Was sind die Ursachen von MARSI?
Die Fachliteratur beschreibt drei Ursachen-Gruppen für MARSI (Tab. 2):
Mechanische Ursachen1,2,3
MARSI können aufgrund von drei mechanischen Vorgängen entstehen:
- Epidermales Stripping: Beim Entfernen von klebenden Verbandmitteln gehen eine oder mehrere Schichten des Stratum corneum verloren. Dieser Effekt kann sich verstärken, wenn Klebestoffreste nicht vollständig entfernt werden, bevor ein neuer Verband aufgebracht wird. Die Läsion ist oftmals oberflächlich und unregelmäßig geformt. Die Haut um die Wunde kann glänzen, gerötet sein und Blasen bilden.
- Spannungsblasen oder -läsionen: Bei dieser MARSI-Form löst sich aufgrund von Scherkräften die Epidermis von der darunterliegenden Dermis ab. Sie können entstehen, wenn sich die Haut unter einem starren klebenden Verband dehnt oder anschwillt. Typische Lokalisationen sind bewegliche Körperteile wie Gelenke, vor allem wenn der Verband in einer gestreckten Position appliziert wurde. Faltig aufgebrachte Verbände können ebenfalls zu Spannungsblasen führen.
- Skin Tears (Einrisse fragiler Haut): In diesem Fall trennen sich Epidermis und Dermis oder beide lösen sich vom darunterliegenden Gewebe. In der Folge entstehen akute Wunden, die sogar bis ins Fett- und Muskelgewebe reichen können.
Dermatitiden (Kontaktekzeme)1,2,3
Diesem MARSI-Typ können zwei entzündliche Vorgänge zugrunde liegen:
- Toxisches Kontaktekzem: In diesem Fall handelt es sich nicht um eine allergische Reaktion, sondern die Haut reagiert auf den Kontakt mit Klebstoffen. Dabei kommt es in der Regel zu einer klar abgegrenzten Hautrötung, die sich auf die Fläche beschränkt, die mit dem Klebstoff direkt in Kontakt war.
- Allergisches Kontaktekzem: Es entwickelt sich aufgrund einer Überreaktion des Immunsystems auf einen bestimmten Inhaltsstoff des Verbandmittels oder Klebstoffs. Die betroffene Hautfläche reicht über das vom Verbandmittel bedeckte Areal hinaus. Die geröteten Läsionen können zudem jucken, nässen und Bläschen bilden.
Sonstige Ursachen1,2,3
Neben mechanischen und entzündlichen Ursachen können zwei weitere Vorgänge hinter MARSI stecken:
- Mazerationen: In diesem Fall weicht und quillt die Epidermis Haut unter der Klebefläche auf, wenn sie zu lange mit Feuchtigkeit in Kontakt war. Mazerationen entstehen, wenn beispielsweise mehrere folienbeschichte Verbandmittel aufeinander geklebt wurden, was zu einer Okklusion mit Feuchtigkeitsansammlung, einschließlich erhöhtem Infektionsrisiko führen kann. Das Hautbild ist faltig mit weiß-grauer Färbung.
- Follikulitis (Entzündung des Haarfollikels): Bei der Verbandentfernung – vor allem bei frisch rasierter Haut – können Haare abgerissen werden oder Bakterien in die Haarfollikel gelangen. Es entwickeln sich Papeln oder Pusteln (kleine entzündliche Hauterhebungen) an den Haarfollikeln.
Ursache | Beispiele |
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Mechanisch |
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Dermatitiden (Kontaktekzeme) |
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Sonstige |
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Tab. 2: Ursachen für MARSI
Wie lassen sich MARSI vermeiden?
Verschiedene Maßnahmen bei jedem Schritt der Wundversorgung können MARSI vorbeugen:1-4
Beurteilung des Hautareals
Wichtig ist, zunächst die Haut der betroffenen Körperregion mit Blick auf die beschriebenen Risikofaktoren zu beurteilen und die folgenden Merkmale zu prüfen:
- Farbe
- Temperatur
- Feuchtigkeitsgehalt
- Turgor (Anzeichen für Dehydratation)
- Intaktheit beziehungsweise Fragilität
- Schwellungen (Risiko einer Verschlimmerung und von Spannungen bei der Entfernung)
- Reizungen und Schädigungen des betroffenen Areals
Sorgfältige Vorbereitung der Haut1-3
Anhand der Beurteilung folgt die Vorbereitung der Haut. Dabei stehen die folgenden Aspekte im Mittelpunkt:
- Überschüssige Feuchtigkeit: Wichtig ist, zum einen Risiken und Ursachen zu evaluieren und zum anderen nach Möglichkeit vorhandene Feuchtigkeit – wie Schweiß, Urin, Wundexsudat sowie Undichtigkeiten bei Drainagen und Stomata- zu beseitigen.
- Mazerationen und Ödeme: Auch hier geht es um die Risikoeinschätzung und eine etwaige Behandlung der Ursachen.
- Haarentfernung: Es empfiehlt sich ein schonendes Kürzen mit einer Haarschneidemaschine statt einer möglicherweise irritierenden Rasur.
- Verbandmittel-/Klebstoffreste: Vor dem Aufbringen eines neuen Verbands ist es wichtig, das Areal mit lösungsmittelfreien Reinigungsmitteln zu säubern und zu trocknen.
- Hautschutz: Bei starker Feuchtigkeitsentwicklung hilft ein zeitnah aufgelegter, transparenter Hautschutzfilm. Zudem kann eine geeignete Hautpflege das MARSI-Risiko verringern.
Auswahl des Verbandmittels1-3
Die häufig verwendeten Klebstoffe unterscheiden sich in ihrem Risiko, möglicherweise MARSI zu verursachen (Tab. 3).1,2 In der Regel werden die Klebekraft und die Wasserdampfdurchlässigkeit von Verbandmitteln nicht angegeben.1
MARSI können weitreichende Folgen nach sich ziehen – für alle Versorgungsbeteiligten:1,3
- Für die Patienten: Schmerzen, gestörte Wundheilung, erhöhtes Komplikationsrisiko einschließlich Infektionen, verminderte Lebensqualität, längere Krankenhausaufenthalte und Behandlungsdauer, Narbenbildung.
- Für die Pflegekräfte: Höherer Zeitaufwand für die Wundversorgung.
- Für das Gesundheitssystem: Höhere Kosten durch den Mehrbedarf an Verbandmitteln und durch die längere Behandlungsdauer.
Klebstoff-Klasse | Einschätzung hinsichtlich MARSI |
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Naturlatex |
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Polyacrylate (Klebevliese, Rollenpflaster, semi-permeable transparente Folienverbände) |
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Silikonbeschichtete Verbandmittel (Rollenpflaster / Fixiervliese / Folienverbände) |
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Tab. 3: Überblick zu häufig verwendeten Verbandklebstoffen und ihr Risiko, MARSI zu verursachen1,2,4
Applikation des Verbandmittels
Auch beim Aufbringen der Verbandmittel lässt sich das Risiko für MARSI reduzieren. Die folgenden Empfehlungen können dabei helfen:
- Grundsätzlich gilt, Verbandmittel ohne Falten oder Spannung aufzubringen.
- Mit dem Verbandmittel nur die wirklich erforderliche Fläche abdecken und übergroße Ränder vermeiden.
- Dehnbare Verbände empfehlen sich an Gelenken oder in Bereichen mit Ödembildung (Vermeidung von Spannung)
- Eine alternative Fixierung mit elastischen Schlauchverbänden hilft, Hautverletzungen zu vermeiden.
Entfernung des Verbandmittels
Kritisch ist das Entfernen von Verbandmittel. Mit diesen Maßnahmen können MARSI vermieden oder zumindest verringert werden:
- Zunächst die Ränder des Verbandmittels vorsichtig lösen.
- Dann das Verbandmittel immer langsam, nahe zur Oberfläche und in Haarwuchsrichtung entfernen.
- Festklebende Verbandmittel vorher mit lösungsmittelfreien Entfernungsmitteln lösen.
- Transparente Folienverbände lassen sich lösen, indem man sie parallel zur Haut stückweise überdehnt, während man die darunterliegende Haut durch Handauflegen stützt.
Wie werden MARSI behandelt?
Für die Behandlung von MARSI gelten die gleichen Grundsätze wie für andere akute Wunden beziehungsweise Hautrisse. Wichtige Aspekte sind:2
- Zunächst wird der Schweregrad der MARSI bestimmt.
- Anschließend ist es wichtig, den betroffenen Bereich mit einer nichttoxischen Lösung von Klebstoffresten, Bakterien und Debris zu reinigen.
- Bei Kontaktdermatitiden können lipidreiche Hautpflegeprodukte die geschädigte Hautbarriere verbessern.
- Bei akuten Entzündungen können kühle Kompressen helfen. Gegebenenfalls ist eine topische Medikation (lokale Anwendung) erforderlich.
- Bei Follikulitiden ist eine sorgfältige Hauthygiene wichtig. Bei Bedarf werden sie antibiotisch behandelt.
- Falls MARSI nicht innerhalb von sieben Tagen auf eine konservative Behandlung ansprechen, sollten Fachärzte hinzugezogen werden.
Was gilt für die Hautpflege, um MARSI zu vermeiden?
Eine angemessene Hautpflege trägt dazu bei, die Integrität der Haut zu unterstützen. Dazu gehört zum einen, die Haut nicht zu häufig und mit pH-hautneutralen Produkten zu waschen, um ein Austrocknen zu vermeiden. Zum anderen gilt es, die Haut mit Feuchtigkeit zu versorgen – sowohl topisch als auch mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr. Darüber hinaus ist es wichtig, Hautreizungen zu vermeiden – zum Beispiel vorsichtiges Abtupfen statt Trockenreiben, der Verzicht auf duftstoff- oder alkoholhaltige Pflegeprodukte sowie ein ausreichender Sonnenschutz.
Checkliste zur Prävention von MARSI
Diese Checkliste kann im Behandlungsalltag unterstützen, MARSI zu vermeiden.3
1. Inspektion des Hautbereichs, in dem das klebende Verbandmittel appliziert werden soll | ¨ |
2. Bestehen Risikofaktoren bei dem Patienten?
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3. Gibt es Alternativen zu klebenden Verbandmitteln? | ¨ |
4. Falls es keine Alternativen gibt, Überprüfung der folgenden Punkte:
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5. Anwendung einer geeigneten Hautpflege | ¨ |
6. Dokumentation der Hautinspektion und deren Ergebnisse | ¨ |