Hyperbare Sauerstofftherapie

Hyperbare Sauerstofftherapie

Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT) wird reiner Sauerstoff unter erhöhtem Druck zur Behandlung von verschiedenen Erkrankungen eingesetzt – auch bei chronischen Wunden.

Unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen die Krankenkassen die Kosten der HBOT beim diabetischen Fußsyndrom.

Was ist die hyperbare Sauerstofftherapie?

Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT) handelt es sich um die therapeutische Anwendung von reinem Sauerstoff unter Überdruckbedingungen (2 bis 3 atm.; 2,03 bis 3,04 bar). Dadurch erhöht sich bei den behandelten Patientinnen und Patienten der Sauerstoffgehalt im Blut (Hyperoxämie) und im Gewebe (Hyperoxie), was unter anderem eine wundheilungsfördernde Wirkung hat.1

Durchführung der hyperbaren Sauerstofftherapie

Die hyperbare Sauerstofftherapie kann entweder in einer Einplatzkammer (HBOT-Kammer) durchgeführt werden, bei der die gesamte Kammer unter Druck gesetzt wird. Alternativ gibt es Mehrplatzkammern, in denen die Patientinnen und Patienten individuell den Sauerstoff über Gesichtsmasken, Hauben oder Endotrachealtuben einatmen. Die Dauer und Häufigkeit der Sitzungen hängen von der Indikation ab.1 Beim diabetischen Fußsyndrom dauern die Anwendungen typischerweise 45 bis 120 Minuten und werden täglich über mehrere Wochen durchgeführt.3

Wie wirkt die hyperbare Sauerstofftherapie?

Die Wirkung der hyperbaren Sauerstofftherapie beruht auf den folgenden Mechanismen:

  1. Das Einatmen von 100 % reinem Sauerstoff fördert die Diffusion des Sauerstoffs von den hyperoxigenierten (Sauerstoff-überversorgten) Lungen ins hypoxische (Sauerstoff-unterversorgte) Gewebe.
  2. Durch den hohen Druck steigt die Sauerstoffkonzentration im Blut.
  3. Die Gasbläschen im Blut verkleinern sich.

Insgesamt führt die hyperbare Sauerstofftherapie zu einer erhöhten Sauerstoffzufuhr in Blut und Gewebe, unabhängig vom Hämoglobin (Sauerstoff-bindendes Molekül in den roten Blutkörperchen). Durch die maximierte Sauerstoffversorgung soll sich die Funktionsfähigkeit des Gewebes verbessern, was pathologische Prozesse positiv beeinflussen kann, darunter:1

Außerdem beeinflusst der hohe Sauerstoffwert im Gewebe wichtige zelluläre Vorgänge: Es kommt zu einer verstärkten Produktion von reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffspezies (ROS= Reaktive Sauerstoffspezies, RNS= reaktive Stickstoffspezies), die wiederum die Synthese von Wachstumsfaktoren, die Neubildung von Blutgefäßen (Neovaskularisation, Angiogenese) und verschiedene immunologische Prozesse induzieren.1

Hyperbare Sauerstofftherapie: HBOT-Kammer
Abb. 1: Hyperbare medizinische Kammer zur Sauerstofftherapie
Hyperbare Sauerstofftherapie, Mehrplatzkammer
Abb. 2 Hyperbare Sauerstofftherapie in einer Mehrplatzkammer

Die Indikationen der hyperbaren Sauerstofftherapie in der Wundversorgung

Für die klinische Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bestehen verschiedene Indikationen – darunter auch die Verbesserung der Heilung bei ausgewählten Problemwunden, insbesondere wenn sie nicht auf konventionelle Behandlungsmethoden ansprechen, darunter:1

Bei diesen Wunden kann die hyperbare Sauerstofftherapie den Wundheilungsprozess beschleunigen, da die Wunde den Sauerstoff benötigt, um das Gewebe zu regenerieren. Darüber hinaus zeigen Studien weitere positive Effekte der hyperbaren Sauerstofftherapie auf die Wundheilung:1

  • Erhöhung der Konzentration von Stickstoffmonoxid (NO), einem wichtigen zellulären Botenstoff4
  • Verstärkte Synthese von Wachstumsfaktoren für Blutgefäße und Epithelien
  • Verringerung von Entzündungsbotenstoffen
  • Reduktion anaerober Infektionen und damit von Amputationsraten

Daneben kann die hyperbare Sauerstofftherapie auch bei Operationswunden angewendet werden.1

Weitere Indikationen der hyperbaren Sauerstofftherapie

Die folgenden Indikationen sind für die Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie anerkannt:1

  • Verbesserung der Heilung bei ausgewählten Problemwunden
  • Akute thermische Verbrennungen
  • Kohlenmonoxid-Vergiftung (auch kompliziert durch Zyanidvergiftung)
  • Verschluss der zentralen Netzhautarterie
  • Clostridien-Myositis und Myonekrose (Gasgangrän)
  • Kompromittierte Transplantate und Lappenplastik
  • Luft- oder Gasembolie sowie Dekompressionskrankheit nach Tauchunfall
  • Verzögerte Strahlenschäden (Weichteil- und Knochennekrosen)
  • Idiopathischer, plötzlicher sensorineuraler Hörverlust
  • Intrakranieller Abszess
  • Nekrotisierende Weichteilinfektionen
  • Refraktäre Osteomyelitis (Knochenmarksentzündung)
  • Schwere Anämie

Hyperbare Sauerstofftherapie beim diabetischen Fußsyndrom

In Deutschland erstatten die gesetzlichen Krankenkassen seit 2018 die Kosten der hyperbaren Sauerstofftherapie beim diabetischen Fußsyndrom (DFS). Allerdings gelten dafür strenge Voraussetzungen:2

  • Die Läsion muss bis zur Gelenkkapsel oder den Sehnen vorgedrungen sein.
  • Es muss eine leitliniengerechte Wundversorgung in einer zur DFS-Behandlung qualifizierten Einrichtung durchgeführt worden sein, unter der keine Wundheilungstendenz erkennbar war.
  • Bei einer Infektion der Läsion muss eine wirksame antibiotische Therapie eingeleitet worden sein.
  • Bei einer relevanten makroangiopathischen Komponente des DFS müssen vorher alle Möglichkeiten geeigneter angioplastischer oder operativer Verfahren ausgeschöpft worden sein, um die bestmögliche Durchblutung des Fußes zu gewährleisten.
  • Es darf keinen belastbaren Hinweis geben, dass während des Zeitraums der hyperbaren Sauerstofftherapie die Maßnahmen der Druckentlastung und der leitliniengerechten Wundversorgung nicht durchgeführt werden können.

Dennoch sieht die Studienlage für die hyperbare Sauerstofftherapie beim DFS uneinheitlich aus.1 

Daher empfiehlt die aktuelle „S3-Leitlinie zur Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden“ eine selektive Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei therapierefraktären diabetischen Fußulzera mit angiopathischer Komponente als adjuvante Therapieoption. Voraussetzung ist das Ausschöpfen aller Revaskularisierungsmaßnahmen sowie die weitere Durchführung konservativer Therapiemöglichkeiten wie Druckentlastung.5

Die Vorteile der hyperbaren Sauerstofftherapie

Aufgrund der beschriebenen Mechanismen kann die hyperbare Sauerstofftherapie in der Wundversorgung die folgenden Vorteile bieten:1,3,5

  • Verbesserung/Beschleunigung der Wundheilung bis hin zum vollständigen Wundverschluss
  • Eindämmung von Infektionen
  • Reduktion von Amputationen

Risiken und Nebenwirkungen der hyperbaren Sauerstofftherapie

Generell gilt die hyperbare Sauerstofftherapie als sicher (2 % Nebenwirkungsrate). Dennoch kann es zu verschiedenen Nebenwirkungen kommen, darunter:1,3

  • Barotraumen (Druckanstiegsschäden) vor allem an Ohren, Lunge und Zähnen
  • Reizung der Atemwege
  • Temporäre Sehstörungen
  • Selten: zerebrale Krampfanfälle durch die Toxizität des Sauerstoffs unter Überdruckbedingungen

Die einzige absolute Kontraindikation für die hyperbare Sauerstofftherapie ist ein unbehandelter Pneumothorax. Bei dringenden, lebensbedrohlichen Indikationen und fehlenden Behandlungsalternativen − wie bei einem Tauchunfall oder einer Kohlenmonoxid-Vergiftung − sind andere Kontraindikationen nachrangig. Daneben besteht eine Reihe relativer Kontraindikationen, bei denen Ärztinnen und Ärzte die Risiken gegenüber dem Nutzen der hyperbaren Sauerstofftherapie sorgfältig abwägen und alternative Optionen berücksichtigen müssen. 

Relative Kontraindikationen für die hyperbare Sauerstofftherapie sind unter anderem:1,6

  • Druckausgleichprobleme in den Bereichen Mittelohr und Nasennebenhöhlen
  • Lungen- und Atemwegserkrankungen mit einem Lungenriss-Risiko
  • Schwere und akute Herzerkrankungen
  • Epilepsie
  • Schwangerschaft
  • Klaustrophobie
  • Implantate, die nicht überdrucktauglich sind (z. B. Herzschrittmacher)
  • Medikamente, die die Toxizität des Sauerstoffs erhöhen können (z. B. manche Chemotherapeutika)

Aktuelle Forschung zur hyperbaren Sauerstofftherapie

Neben den genannten klinischen Anwendungsgebieten der hyperbaren Sauerstofftherapie werden weitere Einsatzmöglichkeiten untersucht.1

  • COVID-19: Die hyperbare Sauerstofftherapie wurde während der Pandemie für schwer erkrankte Patientinnen und Patienten eingesetzt. In Studien konnte die hyperbare Sauerstofftherapie die Sauerstoffdiffusion in unterversorgtes Gewebe verbessern und kritische Entzündungsbotenstoffe (Zytokine) reduzieren. Derzeit wird außerdem ihre Wirkung bei Post-/Long-COVID untersucht.1 Allerdings raten medizinische Fachgesellschaften in Deutschland von einer Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Post-/Long-COVID außerhalb von Studien aufgrund der mangelnden Evidenz ab.7
  • Krebserkrankungen: Die hyperbare Sauerstofftherapie könnte andere Behandlungen wie die Chemotherapie ergänzen. Studiendaten deuten darauf hin, dass sie das Tumorwachstum hemmen kann, indem sie die Tumorhypoxie (Sauerstoffmangel im Tumorgewebe) reduziert, ROS und RNS induziert sowie die Immunabwehr unterstützt. So zeigte die hyperbare Sauerstofftherapie bei zahlreichen Krebsformen vielversprechende Ergebnisse, darunter Brust-, Prostata- und Darmkrebs sowie bei Leukämien.1
  • Schlaganfall und Hirnverletzungen: Studien zeigen erste positive Ergebnisse der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall oder traumatischen Hirnverletzungen. Die HBOT kann dabei Entzündungen vorbeugen, was das Absterben von Nervenzellen verhindert.1
  • Anti-Aging – die Verlangsamung von Alterungsprozessen – gilt als weiteres mögliches Anwendungsgebiet der hyperbaren Sauerstofftherapie.

Literatur

Die Autorin Michelle Eisenberg
Michelle Eisenberg, examinierte Pflegekraft

Michelle Eisenberg ist examinierte Pflegekraft mit der Zusatzqualifikation Praxisanleitung in der Pflege.
Sie hat sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege Erfahrung gesammelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Frau Eisenberg im Kundenservice von Dr. Ausbüttel im Bereich Beratung.