Blutende Tumorwunden – Ursachen, Prävention und Notfallmanagement
Bei Tumorwunden kann es zu Blutungen kommen, die mitunter lebensbedrohlich sein können. Daher stellt das Management blutender maligner Wunden hohe Anforderungen an die Zusammenarbeit der Pflegenden und Ärzte mit den Patienten und ihren Angehörigen.
Warum ist die Blutungskontrolle bei Tumorwunden wichtig?
Aufgrund der besonderen Tumorbiologie können bei malignen Wunden zwei Formen von Blutungen auftreten:
- Häufiger: Kontaktblutungen durch mechanische Reizungen / Manipulationen der Wunde
- Seltener: Spontanblutungen ohne erkennbaren Auslöser
In seltenen Fällen kann es auch zu starken Blutungen kommen, die potenziell unstillbar und damit lebensbedrohlich sein können (6 % der malignen Wunden). So werden Tumorpatienten mit einer fulminanten arteriellen Arrosionsblutung in der Regel innerhalb kurzer Zeit bewusstlos und versterben. Durch den starken Hb-Wert-Abfall und der damit einhergehenden Hypotonie (Blutdruckabfall) kann es aber auch zu einem Sistieren der Blutung kommen. In diesem Fall überleben die Patienten möglicherweise noch mehrere Stunden oder Tage.1,2
Die Angst vor einer drohenden Blutung kann Tumorpatienten und ihre Angehörigen stark belasten. Außerdem kann der Anblick einer stark blutenden Wunde gerade für die Angehörigen verstörend sein. Daher ist es wichtig, sie darauf vorzubereiten und in der akuten Situation zu begleiten.2,3
Empfehlungen zu Blutungsmanagement bei Tumorwunden
Nach den Empfehlungen der aktuellen S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ unterscheidet sich das Blutungsmanagement bei den meist palliativ behandelten Patienten mit Tumorwunden in zwei Situationen:2
- Blutungsprophylaxe (siehe „Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Blutungen“)
- Stillung einer akuten Blutung (siehe „Kontrolle und Stillung akuter Blutungen von Tumorwunden“)
Die Autoren der S3-Leitlinie haben ihre Empfehlungen zum Umgang mit blutenden Tumorwunden in einem Flussdiagramm zusammengefasst (Abb. 1).2
Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von Blutungen
Vorrangiges Ziel bei der Versorgung von Tumorwunden ist es, Blutungen mit geeigneten pflegerischen und medizinischen Maßnahmen zu vermeiden. Die S3-Leitlinie gibt dazu die folgenden Empfehlungen:
- Atraumatischer Verbandwechsel durch schonendes Lösen des Verbands und der Verwendung von nicht verklebenden Wundauflagen (zum Beispiel mit Silikonbeschichtung). Hierbei ist es wichtig, sorgfältig die Ursache einer aufgetretenen Blutung zu evaluieren und daraus Schlussfolgerungen für zukünftige Verbandwechsel zu ziehen.
- Langes Belassen der primären Wundauflage mit Wechsel des Sekundärverbands ermöglicht eine Wundruhe und eine Reduktion von Blutungsereignissen.
- Kritische Risiko-Nutzen-Evaluation der häufig bestehenden Behandlung mit blutverdünnenden Medikamenten zur Prophylaxe tumorassoziierter Thrombosen. Idealerweise sollten Antikoagulanzien abgesetzt werden.
Besteht ein Risiko für das Auftreten von stark blutenden Wunden, sollte gemeinsam mit dem Patienten und dessen Angehörigen ein schriftlicher Notfallplan erstellt und ein Notfallset vorgehalten werden.1,2
Notfallplan für blutende Tumorwunden erstellen
Bei der Ausarbeitung eines schriftlichen Notfallplans für den Fall einer akut blutenden Tumorwunde sind die folgenden Aspekte wichtig:1,2
- Wünsche des Patienten bezüglich des Notfallvorgehens abklären – zum Beispiel lebenserhaltende Maßnahmen, Krankenhauseinweisung und Sedierung.
- Information der relevanten Personen über das Blutungsrisiko – darunter Angehörige und Pflegefachkräfte.
- Vorgehen im Blutungsnotfall mit allen Beteiligten festlegen – zum Beispiel Maßnahmen zur blutstillenden Erstversorgung, Notarzteinbindung, Sedierung und die Gabe von Notfallmedikamenten.
- Bei stationärer Versorgung: Möglichkeit der Verlegung in ein Einzelzimmer prüfen.
Notfallset für blutende Tumorwunden zusammenstellen
Wichtig ist, dass Notfallmedikamente wie Sedativa, Schmerzmittel und Hämostatika (siehe auch „Kontrolle akuter Blutungen von Tumorwunden“) sowie geeignete Wundauflagen prophylaktisch verordnet und in der Nähe des Patienten gelagert werden. Außerdem sollte die folgende Ausstattung bereitgehalten werden:1,2,4
- dunkle Laken/Handtücher (zur Vermeidung panischer Reaktionen der Betroffenen beim Anblick großer Blutflecken)
- Einmal-Handschuhe
- Schürzen
- Matratzenschutz oder Inkontinenzeinlagen
- Abfalltüten
Kontrolle und Stillung akuter Blutungen von Tumorwunden
Das Vorgehen bei blutenden Tumorwunden hängt vor allem von der Intensität der Blutung ab:1,2
Fall 1: Leichte Blutung – eine Blutstillung ist möglich
Diese Maßnahmen zur lokalen Vasokonstriktion können helfen, leichte Blutungen zu stoppen:
- Eine Kompression ist die schnellste und einfachste Möglichkeit, sofern es der Patient toleriert. Hier kann eine flächige Kompression mit sterilen Kompressen und der flachen Hand erträglicher sein als eine punktuelle Kompression.
- Die Anwendung von Kälte („cold packs“) führt zur Vasokonstriktion der umliegenden Blutgefäße und kann helfen, leichte Blutungen zu stoppen. Allerdings sollte das Gewebe nicht zu lange gekühlt werden, da es zu einer reaktiven Durchblutungssteigerung (Hyperämisierung) und damit zu einer erneuten Blutung kommen kann.
- Das Einbringen vasokonstriktiver Wirkstoffe in die Wunde wird in der Literatur kritisch diskutiert, da die in Tumoren neu gebildeten Blutgefäße weniger von Perizyten (Bindegewebszellen an der Außenwand von Blutkapillaren) und von vaskulären glatten Muskelzellen umgeben sind als gesunde Gefäße. Daher bestehen wissenschaftliche Zweifel an der Wirksamkeit lokaler, „off-label“ verabreichter Vasokonstriktoren wie Adrenalin, Xylometazolin oder Naphazolin.
Fall 2: Mittelschwere bis stärkere Blutung – eine Blutstillung ist möglich
Mittelschwere bis stärkere Blutungen können mit lokal oder systemisch angewendeten blutstillenden Wirkstoffen (Hämostatika) gestoppt werden.
- Durch die lokale oder systemische Anwendung des HämostatikumsTranexamsäure wird die Fibrinolyse gehemmt und damit das Auflösen von Thromben verhindert. Zum einen können mit Tranexamsäure getränkte Kompressen in die Wunde eingebracht werden. Zum anderen kann bei stärkeren Blutungen eine orale oder intravenöse Tranexamsäure-Gabe sinnvoll sein. Allerdings besteht hier eine Kontraindikation bei Patienten mit thromboembolischen Ereignissen in der Vorgeschichte.1,2
- Eine weitere Maßnahme, um stärkere Blutungen zu stoppen, sind lokal angewendete Hämostyptika (Hämostatika). Sie fördern die Blutgerinnung und verkleben mit der Wunde. Diese Hämostyptika werden meistens resorbiert und sollten deshalb nicht aus der Wunde entfernt werden. Sonst kann es zu einer erneuten Blutung kommen (Tab. 1).2
Die S3-Leitlinie rät explizit von der lokalen Anwendung von Sucralfat zur Blutstillung ab. Demnach bestehe keine wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen von Sucralfat. Außerdem erschwert dessen Anwendung die Beurteilung der Wunde und seine Entfernung beim Verbandwechsel kann zu weiteren Blutungen führen.2
Tab. 1. Hämostyptika (Hämostatika) um Blutungen von Tumorwunden zu stoppen2
Hämostyptikum | Wirkmechanismus |
---|---|
Oxigenierte oder oxidierte Zellulose |
|
Kollagene | Aktivierung der Thrombozytenaggregation durch Verkleben der Thrombozyten mit der schwammartigen Kollagenoberfläche |
Gelatine | Adhäsion der Thrombozyten an die schwammartige Oberfläche der Gelatine |
Fall 3: Akute Blutung – eine Blutstillung ist nicht möglich
In dieser Notfallsituation hängt das Vorgehen von dem ab, was mit dem Patienten vorher vereinbart wurde. Unabhängig davon ist es am wichtigsten, den Patienten in dieser lebensbedrohlichen Situation mit den folgenden Maßnahmen zu unterstützen:
- Ruhe bewahren und Hilfe herbeirufen.
- Den Patienten keinesfalls allein lassen.
- Sofern möglich, den Patienten in eine stabile Seitenlage bringen, um die Atemwege freizuhalten.
- Die Blutung mit dunklen Laken/Handtüchern eindämmen beziehungsweise kaschieren.
- Falls die Blutung aus einer äußeren Wunde stammt, Druck auf diese Stelle ausüben.
- Notfallmedikamente wie zum Beispiel Tranexamsäure verabreichen – gegebenenfalls die Gabe wiederholen.
Falls der Patient eine stationäre Notfallbehandlung wünscht, erfolgt unverzüglich eine notfall- undintensivmedizinische Intervention, mit dem Ziel, die Blutung so schnell wie möglich zu stoppen sowie die Hämostase wieder herzustellen. Abhängig vom Einzelfall erhalten die Patienten volumenstabilisierende Infusionen, Sauerstoff, blutstillende Medikamente beziehungsweise Transfusionen oder es erfolgen chirurgische Eingriffe.5
Weitere Maßnahmen, um Blutungen zu stoppen
In einigen Fällen können interventionelle Maßnahmen eingesetzt werden, um Blutungen von Tumorwunden zu stoppen. Dazu gehören beispielsweise:6,7
- Bestrahlungen
- Chirurgische Eingriffe
- Ablation oder Kauterisation (z. B. mit lokaler Hitze)
Sie werden in der deutschen S3-Leitlinie zur Palliativmedizin jedoch nicht explizit genannt.2
Das Blutungsmanagement ist nur Aspekt in der komplexen Wundversorgung bei Tumoren. Im Beitrag „Onkologische Wunden“ werden weitere wichtige Themen wie der Umgang mit Exsudat und Gerüchen beschrieben.
Onkologische WundenUrsachen: Warum besteht bei Tumorwunden ein hohes Blutungsrisiko?
Hinter der starken Blutungsneigung von Tumorwunden stehen verschiedene Risikofaktoren, aufgrund der malignen Erkrankung beziehungsweise durch die onkologische Therapie:
- Empfindliche Tumorblutgefäße: Die neugebildeten Blutgefäße zur Versorgung des Tumors (Neoangiogenese) haben oft eine dünne Gefäßwand und sind porös. So können Manipulationen an der Wunde wie beim Verbandwechsel schnell zu Kontaktblutungen führen.
- Tumorinfiltration: Tumoren können Blutgefäße infiltrieren, sie schädigen und so Spontanblutungen verursachen.1
- Gerinnungsstörungen mit Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese): Die Krebserkrankung selbst, Chemo- und Strahlentherapie sowie die häufig verabreichten Blutverdünner und Schmerzmedikamente können die Blutgerinnung an verschiedenen physiologischen Angriffspunkten stören und die Blutungsneigung verstärken.6,7
Blutungen vermeiden: Was onkologische Patienten für sich tun können
Diese Empfehlungen können onkologischen Patienten helfen, das Risiko für tumorbedingte Blutungen zu verringern:8
- Blutungsfördernde Medikamente vermeiden: Manche freiverkäuflichen Medikamente – insbesondere Schmerzmittel – können das Blutungsrisiko erhöhen.
- Umsichtige Körperpflege:
- Die Zähne mit einer sehr weichen Zahnbürste vorsichtig putzen, um Zahnfleischverletzungen zu vermeiden.
- Einen elektrischen Rasierapparat statt Rasierklingen verwenden.
- Sorgfältige Hautpflege: Mit geeigneten Pflegemitteln ein Austrocknen der Haut und der Lippen vermeiden.
Daneben ist es sinnvoll, die Patienten und ihre Angehörigen für den Umgang mit Blutungen zu schulen:8
- Sie sollten ihre Pflegefachkraft oder ihren Arzt sofort informieren, wenn sie unter Obstipation leiden oder Blutungen aus dem Enddarm bemerken.
- Sie können lernen, leichte Blutungen mit manueller Kompression und Kälteanwendungen selbst zu stoppen.
Blutungen treten bei onkologischen Patienten nicht nur oberflächlich, im Rahmen von Tumorwunden, auf. Sie können sich an verschiedenen weiteren Lokalisationen entwickeln. Beispiele sind:7
- Hämoptyse (Bluthusten)
- Vaginale Blutungen
- Gastrointestinale Blutungen
- Hämaturie (Blut im Urin)