Medikamenten-Mangel: Überblick und Tipps für MFA
Eines schicke ich diesem Beitrag vorweg: Wir haben in Deutschland im internationalen Vergleich eine sehr gute medizinische Versorgung, auch mit Arzneimitteln. Dennoch sind aktuell seit längerer Zeit einige Präparate knapp oder unterliegen Lieferengpässen. Einen Überblick und ein paar Ideen, wie wir Medizinische Fachangestellte mit unseren Patienten umgehen können, zeige ich euch in diesem Blogbeitrag.
Seit einiger Zeit gibt es vermehrt Lieferengpässe bei Arzneimitteln, die mittlerweile auch „Alltagsmedikamente“, wie Antibiotika, insbesondere für Kinder, Hustenmittel oder auch Fiebersäfte für Kinder betreffen.1
Ich habe für euch häufig gestellte Fragen beantwortet und gebe euch einen Überblick zu diesem Thema. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass das Thema hochkomplex ist und sicherlich jeder Lieferengpass genau betrachtet werden muss.
Wie oft kommt es zu Lieferengpässen?
Laut PharmNet.Bund wurden im Zeitraum Januar bis Ende November 2023 insgesamt 165 Erstmeldungen für nicht lieferfähige Arzneimittel getätigt.2
Die Lieferengpassquote liegt laut Techniker Krankenkasse im Schnitt bei 0,5 Prozent und stieg im Jahr 2022 auf 0,7 Prozent an. Generika seien dabei häufiger betroffen als Patentprodukte, wobei auch diese zunehmend betroffen sind. Seit 2018 ist bei Lieferengpässen ein kontinuierlich zunehmender Trend zu beobachten.3
Was ist ein Lieferengpass und welche Arten gibt es?
Das BfArM definiert eine Lieferunfähigkeit als „über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann“.1
Engpässe von Arzneimitteln können auf verschiedenen Ebenen auftauchen: auf Produkt-, Wirkstoff- oder Therapieebene.
Produktengpass: Engpässe, die an das BfArM gemeldet werden und so auch in der o.g. Statistik (PharmNet.Bund) auftauchen sind Engpässe, die auf Produktebene, also auf einer bestimmten Packung mit einer Dosierung von einem Hersteller, stattfinden. Bei Einschränkungen auf Produktebene gibt es normalerweise eine Alternative – eventuell ist eine andere Packungsgröße verfügbar oder ein Produkt eines anderen Herstellers mit dem gleichen Wirkstoff.
Wirkstoffengpass: Auf Ebene des fünfstelligen ATC (Anatomical Therapeutic Chemical, Klassifizierungssystem für pharmakologische Wirkstoffe) ist ein Wirkstoff nicht mehr durch die Hersteller lieferbar. Auch hier kann meistens eine Alternative in Form eines Wirkstoffes der gleichen Wirkstofffamilie gefunden werden, um eine Therapie fortzusetzen.
Therapieengpass: Hierbei ist die Therapie gefährdet, da der Wirkstoff auch nicht durch einen ähnlichen therapeutischen Wirkstoff ersetzt werden kann.
Was sind die Gründe für Medikamenten-Engpässe?
Die Gründe für Medikamentenengpässe in Deutschland sind vielfältig. In einer Erhebung, durchgeführt von der Pharmaceutical Group of the European Union (PGEU, www.pgeu.eu), wurden zwischen dem 14. November und 31. Dezember 2022 insgesamt 29 PGEU-Mitgliedsländer befragt. Je Land war eine Rückmeldung möglich.
Es wurde u.a. gefragt: „Aus Ihrer Erfahrung, was waren die drei häufigsten Gründe für Lieferengpässe in Ihrem Land?“4 Dies waren die drei häufigsten Gründe:
- 65,52% (19/29 PGEU-Mitgliedsländer) Störung der Herstellungsprozesse
- 55,17% (16/29) Vom Hersteller auferlegte Quoten
- 48,28% (14/29) Unerwarteter, hoher Anstieg der Nachfrage
Weitere Gründe, die die Techniker Krankenkasse in ihrem Bericht für den deutschen Markt identifiziert, sind3:
- Globale und komplexe Lieferketten
- Geografische Konzentration von Vorleistungen und Herstellung
- Fehlende ökonomische Anreize für robuste Lieferketten
- Unattraktive Bedingungen für Markteintritte von Herstellern
- Lieferungen, die „auf Abruf“ (on demand) getätigt werden ohne Anpassungsmöglichkeit
Fast 70 Prozent der Produktionsorte sind in Asien verortet. Tauchen dort Fertigungsverzögerungen, Produktionsausfälle oder gar Verunreinigungen auf, spüren wir das auch bei uns. Zudem spielen Lieferprobleme mit Wirkstoffen und unzureichende Bevorratung eine Rolle.
Auch die unzureichende Anpassung der Preise für patentfreie Medikamente wird als Ursache genannt. Höhere Produktions- und Herstellungskosten, beispielsweise für Energie und Materialien, können seitens der Hersteller nicht über den Preis an den Kunden weitergegeben werden, da die Preise im Gesundheitswesen stark reguliert sind.
Als Folge für den hohen Kostendruck steigen viele Anbieter aus dem Markt aus, sodass es nur noch wenige Hersteller für manche Wirkstoffe gibt. Bei steigender Nachfrage können diese Hersteller den Bedarf nicht zeitnah decken.5,6
Welche Produkte sind besonders betroffen?
Die Engpässe betreffen vor allem alltägliche Medikamente wie Fiebersäfte für Kinder, Hustenmittel, Blutdrucksenker und Antibiotika, aber auch lebenswichtige Krebsmedikamente. Hier sind besonders Tamoxifen und Folinsäure zu nennen. Gerade die pädiatrischen Darreichungsformen waren und sind zeitweise sehr betroffen.
Wie können wir MFA auf die Unsicherheiten von Patienten reagieren?
Die Leidtragenden der Lieferengpässe sind am Ende unsere Patienten. Viele sind besorgt und verunsichert und fragen „Hamsterbevorratung“ bei uns an.
Vier Dinge, die wir MFA tun können, um unseren Patienten durch einen Lieferengpass eines Arzneimittels zu helfen:
- Bleibt im Kontakt zu Apotheken und Großhändlern, um frühzeitig Alternativen im Blick zu haben
- Informiert eure Patienten über die Situation und erklärt ausführlich, dass diese Probleme nicht in eurer Hand liegen, um Vertrauenseinbußen zu verhindern
- Zeigt Therapiealternativen auf und erklär die Auswirkung des Engpasses auf die individuelle Therapie (hier ist der Unterschied zwischen Produkt-, Wirkstoff- und Therapieengpass entscheidend)
- Bleibt eng im Austausch mit euren Patienten und betont, dass ihr sie nicht alleine lassen und versuchen werdet, die bestmögliche Lösung herbeizuführen
Um mit den Engpässen umzugehen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Arztpraxen, Apotheken, Großhändlern und Arztpraxen wichtig, um frühzeitig alternative Medikamente zu identifizieren. Eine sorgfältige Dokumentation und Kommunikation mit unseren Patienten ist wichtig, um die bestmögliche Versorgung sicherzustellen.
Wie kommt ihr mit Lieferengpässen von Arzneimitteln in Berührung? Welche Erfahrungen habt ihr schon gemacht und wie geht ihr mit euren Patienten um?
Viele Grüße
Eure Steffi